Alles Ist Ewig
etwas für Adam, oder etwa nicht?«
»Ja. Mitleid. « Diese Antwort entsprach nur zur Hälfte der Wahrheit. Haven dachte an ihren Kuss. Sie hatte sehr viel mehr empfunden als bloß Mitleid. Und jetzt fühlte sie sich nur noch schrecklich. Sie griff nach Iains Hand, um ihn zu beruhigen. Er hob ihre Finger ins Licht.
»Wo ist der Ring, den ich dir geschenkt habe?«
Der Ring. An den hatte sie seit Tagen nicht mehr gedacht. »Den musste ich abnehmen, weil er Adam aufgefallen ist. Das hätte uns beide in Schwierigkeiten bringen können.«
»Das war nicht meine Frage. Wo ist dein Ring, Haven?«
»In meiner Handtasche.« Sie sprang aus dem Bett und kam, mit einer Hand in ihrer Tasche kramend, wieder zurück.
»Lass gut sein«, brummte Iain.
Haven wusste, was er denken musste, und verfluchte sich im Stillen selbst. »Bitte sei nicht sauer! Ich hab ihn nicht verloren. Er ist irgendwo hier drin.« Sie legte die Tasche beiseite und setzte sich auf seinen Schoß. Als sie ihren Mund auf seinen drückte, drehte Iain sich weg.
»Verlässt du heute noch mit mir New York?«, fragte er.
»Nein.«
»Na schön.« Mit Haven im Arm stand Iain vom Bett auf. Im ersten Moment dachte sie, er würde sie einfach so zur Tür hinaus und aus dem Hotel tragen. Dann aber setzte er sie wieder auf dem Bett ab und marschierte allein zur Tür.
»Wo gehst du hin?«, fragte sie.
»Einen Weg finden, wie ich dich retten kann.«
»Iain!«
Die Tür knallte hinter ihm zu.
Als sie begriff, dass Iain nicht zurückkommen würde, rannte sie zum Fenster, um wenigstens noch einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen. Die Straßen waren verlassen, aber der Park war es nicht. Eine einsame Gestalt wanderte über die gewundenen Pfade. Das Letzte, was Haven sah, bevor die Tränen ihren Blick verschleierten, war, wie die Gestalt von einem Schatten in den nächsten glitt und verschwand.
KAPITEL 29
B eatrice starrte voller Entsetzen auf den leeren Platz unter ihrem Fenster, wo eine Leiche mit dem Gesicht nach unten auf dem Pflaster lag. Sie hatte beobachtet, wie der Mann gestrauchelt und zu Boden gestürzt war. Niemand war ihm zu Hilfe gekommen. Die Leute auf dem Platz waren geflohen wie Kakerlaken, die zurück in ihre Löcher huschten. Das waren die eigentlich Kranken, dachte Beatrice. Dann tauchte eine schwarz gekleidete Gestalt aus einer Seitenstraße auf. Beatrice hatte einem Diener befohlen, einen Priester zu holen. Doch als der Mann neben der Leiche stehen blieb und zu Beatrice hochsah, wurde ihr klar, dass dies nicht der Priester war, nach dem sie geschickt hatte. Sein Gesicht war hinter einer dieser schaurigen weißen Masken mit den langen gekrümmten Schnäbeln verborgen. Er stieß den toten Mann grob mit der Spitze seines Stabs in die Seite. Ein Pferdekarren rumpelte heran. Zwei Männer kletterten herunter und hoben die Leiche von der Straße auf. Sie holten Schwung und warfen den Toten dann auf die Ladefläche des Karrens, auf einen Haufen aus Gliedmaßen, Köpfen und Rümpfen.
Haven schlürfte angebrannten schwarzen Kaffee aus einem Pappbecher, während sie auf einem unterirdischen Bahnsteig an der Grand Central Station wartete. Um acht Uhr dreißig fuhr der Zug ein, und Haven fand sich in einem Pulk von grimmig dreinblickenden Männern und Frauen in schwarzer Business-Kleidung wieder, die alle aus den wohlhabenden Vororten außerhalb der Stadt kamen. Wie Roboter, die einen einprogrammierten Befehl ausführten, marschierten sie auf den Ausgang zu und zogen dabei ihre Mäntel an, ohne auch nur einmal aus dem Tritt zu geraten. Als der Zug sich geleert hatte, stieg Haven ein und versuchte, nicht auf den Seiten des Wall Street Journal auszurutschen, die im Gang verstreut auf dem Boden lagen. Soweit sie sehen konnte, war sie die einzige Passagierin, die nach Norden wollte.
Haven trank ihren Kaffee aus und hoffte, dass er ausreichen würde, um sie wach zu halten. Sie hatte kaum geschlafen, nachdem Iain in der Nacht zuvor gegangen war. Jedes Mal, wenn sie die Augen zugemacht hatte, hörte sie ihn sagen, Du steckst viel zu tief drin . Hatte er recht?, fragte sie sich. Hatte sie sich wirklich von Adam einlullen lassen? War sie auf seine Lügen hereingefallen? Iain schien zu glauben, dass das die einzige Erklärung für ihren Sinneswandel war. Vielleicht stimmte das, aber Havens Bauchgefühl sagte ihr noch immer, dass er sich irrte. Ja, sie empfand etwas für Adam. Und wenn sie ihren Gedanken freien Lauf ließ, endeten sie fast jedes Mal bei
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