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Alles Ist Ewig

Alles Ist Ewig

Titel: Alles Ist Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Miller
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leisen Klänge einer Geige, die eine Mozartsonate spielte, an ihr Ohr. Sie spähte durch ein kleines Fenster in einer der Klassenzimmertüren und sah einen kleinen Jungen mit dem Instrument unter dem Kinn. Nachdem das Stück zu Ende war, errötete er und verbeugte sich, während seine Mitschüler und der Lehrer begeistert applaudierten. In einem anderen Klassenraum auf der gegenüberliegenden Seite zeichnete ein Mädchen, das etwa im selben Alter war wie der Junge zuvor, gerade mit bunter Kreide eine Reihe von komplexen Molekülen an die Tafel. Nach einer Weile begriff Haven, dass das Mädchen keine Aufgabe löste, die der Lehrer ihr gestellt hatte, sondern selbst seine Mitschüler unterrichtete.
    Das hier sollte die Albtraumschule sein, von der Phoebe berichtet hatte? Das finstere Gemäuer, in dem den armen hilflosen Kindern schreckliche Dinge angetan wurden? Eine Glocke läutete, und im nächsten Moment öffneten sich die Türen und eine Horde aufgedrehter Kinder strömte auf den Flur hinaus. Sie huschten an Haven vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen, kicherten, scherzten, hielten einander an den Rucksäcken fest und tuschelten mit ihren Freunden. Ihr fiel auf, dass sie nicht einmal Uniformen trugen, sondern Jeans, Turnschuhe und Pullover.
    »Haben Sie sich verlaufen, schöne Frau?« Die Piepsstimme gehörte einem kleinen Jungen.
    Haven blickte zu dem auffallend kleingewachsenen Kind mit dem dunklen, lockigen Haar hinunter. Als er ihr zuzwinkerte, musste sie lachen. »Nein«, sagte sie. »Ich sehe mich nur ein bisschen um. Flirtest du immer mit älteren Frauen?«
    »Nur, wenn sie sexy sind«, erwiderte der Junge. Ein paar seiner Freunde, die auf der anderen Seite des Flurs warteten, kicherten. Offenbar zog er die Show für sie ab. »Sind Sie die Mutter von jemandem oder so?«
    »Was?« Haven gab sich empört. »Ich bin ja wohl längst nicht alt genug, um die Mutter von irgendjemandem hier zu sein. Wie heißt du eigentlich?«
    »Jorge«, sagte der Junge.
    »Ich bin Haven. Und, gehst du gern hier zur Schule, Jorge?«
    »Ja, ist total cool hier«, antwortete er. »Alle sind ziemlich schlau, und wir können alles lernen, was wir wollen. Viel besser als an der John Bowne. Da hat’s immer nach Kacke gestunken.«
    »Vermisst du manchmal deine Eltern?«, fragte Haven weiter.
    »Warum sollte ich die denn vermissen?« Der Junge zog eine Grimasse. »Die kommen doch jedes Wochenende aus der Bronx hier raufgefahren. Ich hab ihnen schon tausendmal gesagt, dass sie das lassen sollen. Die anderen kriegen höchstens einmal im Monat Besuch von ihren Eltern, aber Mom und Dad wollen nichts davon hören. Langsam wird’s echt peinlich.«
    »Na ja, sie sind wahrscheinlich einfach nur stolz auf dich«, sagte Haven.
    »Klar sind sie das. Ich werde ja auch mal jemand ziemlich Wichtiges, wenn ich erwachsen bin. Jeder hier wird das.«
    »Weißt du denn schon, was du mal werden willst?«, wollte Haven wissen.
    »Als Erstes will ich Model werden«, erwiderte der Junge.
    »Ah, ja.« Haven musste sich alle Mühe geben, um weiter ein ernstes Gesicht zu machen. »Das liegt natürlich nahe.«
    »Ja, und dann, wenn ich älter bin, geh ich in die Politik. Zumindest hab ich das letztes Mal gemacht. Und Mr Adam sagt immer, es wäre eine Schande, eine so außergewöhnliche Persönlichkeit nicht zu nutzen.«
    »Damit hat er auf jeden Fall recht«, stimmte Haven ihm zu. »Und was ist mit deinen beiden Freunden da drüben?«
    Jorge deutete auf einen der Jungen. »Erfinder«, sagte er. Dann zeigte er auf den anderen. »Alkoholiker.«
    »Hey!«, protestierte der zweite Junge. »Das ist schon zwei Leben her!«
    »War doch nur ein Scherz, alte Schnapsnase.« Jorge lachte. »Er war mal ein berühmter Schriftsteller oder so was. Wollen Sie mit uns mittagessen gehen, Miss Haven? Heute gibt’s Hamburger.«
    »Danke für die Einladung«, sagte Haven, »aber ich sollte mich langsam mal wieder auf den Weg zurück in die Stadt machen.«
    »Tja, wenn Sie mal wieder in der Gegend sind, können Sie mich jederzeit besuchen kommen, okay?«
    »Klare Sache, Jorge«, versprach Haven grinsend. »Das mach ich ganz bestimmt.«
    »Habt ihr gesehen?«, hörte sie Jorge bei seinen Freunden auftrumpfen, als das Trio Richtung Cafeteria schlenderte. »Ich hab’s euch ja gesagt, ich hatte schon immer ein Händchen für Frauen.«
    Hatte sie etwas verpasst?, überlegte Haven. Gab es hier irgendwo ein geheimes Verlies oder einen zugigen Speicher, wo unfolgsame Schüler bei Wasser und

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