Alles Ist Ewig
Halle stehenden Ledersofas und Klubsessel sahen aus, als hätten sich bis vor Kurzem noch fröhliche Urlauberfamilien darauf getummelt. Ein gerahmtes Foto auf einem der urigen steinernen Kaminsimse zeigte Gruppen von kleinen Mädchen in makellos weißen Kleidern, die auf der Wiese vor der Schule Krocket spielten.
»Kann ich Ihnen helfen?« Ein freundlicher junger Mann mit einer Krawatte unter seinem Pullunder steckte den Kopf aus dem Empfangsbüro.
»Ja«, begann Haven, während sie ihre Mütze abnahm.
»Oh, hallo, Miss Moore. Ich hätte Sie fast nicht erkannt.« Der Mann eilte auf sie zu, um sie zu begrüßen.
»Kennen wir uns?« Haven versuchte, ihre Verwirrung mit einem Lächeln zu überspielen.
»Ja, aber Sie werden sich wohl kaum an mich erinnern. Wir haben uns vor einer Weile bei der Ouroboros-Gesellschaft getroffen. Ich habe damals als Rezeptionist dort gearbeitet.«
»Tut mir leid …«
»Das muss es nicht! Die OG-Uniformen sind auch nicht dazu gedacht, dass man uns im Gedächtnis behält. Mein Name ist Albert Sinclaire. Ich bin der Assistent des Schulleiters.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und Haven zögerte kurz, bevor sie sie ergriff.
»Schön, Sie wiederzusehen«, sagte sie, um ihre Beklommenheit loszuwerden, während sie dem Mann die Hand schüttelte.
»Was kann ich für Sie tun, Miss Moore?«
»Ich bin mit dem Zug hierhergefahren, um heute Nachmittag ein paar Freunde zu treffen. Aber ich habe so viel über diese Schule gehört, dass ich dachte, ich schaue einfach mal vorbei. Um zu sehen, ob der ganze Wirbel gerechtfertigt ist. Das Gebäude ist wirklich schön – und so groß! Wie viele Schüler werden denn hier unterrichtet?«
»Im Moment knapp zweihundert«, erwiderte Albert Sinclaire stolz. »Obwohl wir im nächsten Herbst wohl mehr neue Schüler als bisher aufnehmen werden. Das Programm ist wirklich sehr erfolgreich. Sie haben bestimmt schon gehört, dass wir dieses Jahr unsere erste Klasse aufs College entlassen. Alle unsere Absolventen sind an Elite-Colleges angenommen worden – ganz ohne das Einwirken der OG, wie ich vielleicht hinzufügen sollte.«
»Wirklich beeindruckend«, spielte Haven mit. Wie lange würde es wohl dauern, bis er sie höflich nach draußen komplimentieren würde?
Ein Telefon begann zu klingeln, und der junge Mann zuckte zusammen. Einen Moment lang schien er hin und her gerissen zu sein, beim zweiten Klingeln aber machte er sich schließlich doch widerstrebend auf den Weg zum Büro.
»Tut mir furchtbar leid, Miss Moore. Ich würde Ihnen wirklich gern eine Führung durch die Schule anbieten, aber im Moment bin ich ziemlich beschäftigt. Der Schulleiter ist geschäftlich unterwegs, wissen Sie, und ich muss hier die Stellung halten. Was halten Sie davon, sich einfach allein ein bisschen umzuschauen?«
Halcyon Hall war definitiv voller Überraschungen. »Ist das denn erlaubt?«, fragte Haven.
»Na ja, nein, eigentlich nicht. Aber da Sie der OG nahestehen, bin ich mir sicher, dass niemand etwas dagegen haben wird. Wir sind schließlich eine Schule und kein Gefängnis. Die Klassenzimmer der Stufen vier bis acht befinden sich im zweiten Stock. Die Highschooljahrgänge im dritten und der Wohnbereich im vierten. Schlendern Sie einfach ein bisschen herum, hören Sie zu, wenn Sie möchten. Nur bitte unterbrechen Sie nicht den Unterricht. Wenn Sie Fragen haben, finden Sie mich hier im Empfangsbüro.«
»Danke«, rief Haven ihm hinterher, als er ans Telefon stürzte.
Die Flure im zweiten Stock waren mit Kunstwerken der Schüler dekoriert. Haven erinnerte sich daran, dass in ihrer eigenen Grundschule früher an einem riesigen schwarzen Brett neben dem Büro des Schulleiters Fingerfarbenbilder und Selbstporträts gehangen hatten. Havens Bilder waren jedoch nie darunter gewesen. Ein Lehrer hatte ihr einmal erklärt, sie hätten die Arbeit der anderen zu schlecht aussehen lassen. In Halcyon Hall dagegen waren die Werke der Schüler gerahmt und hinter Glas, und das aus gutem Grund. Die meisten der Stücke hätten es ohne Weiteres in jede Kunstgalerie New Yorks geschafft. Haven beugte sich vor, um ein kleines weißes Schild besser lesen zu können, das neben einem Bild hing, auf dem ein Unwetter über dem Hudson Valley tobte. Der Blitz erhellte eine seltsame Szenerie im Vordergrund, wo zwei Männer auf einem Friedhof entweder ein Grab aushoben oder eine Leiche exhumierten. Jillian Thomas, 4. Klasse, stand darauf.
Als Haven weiter den Flur hinunterging, drangen die
Weitere Kostenlose Bücher