Alles Ist Ewig
lassen.«
»Ich habe den schwarzen Tod wirklich nach Italien gebracht; das ist die Wahrheit«, gestand Adam, sehr zu Havens Überraschung. »Ich hatte zu viel Zeit in anderen Ländern verbracht, und die Horae hatten die Herrschaft über Europa an sich gerissen. Es gibt einen Grund, warum man diese Jahrhunderte als ›finsteres Mittelalter‹ bezeichnet. Die Menschen waren in einer Hierarchie gefangen, aus der es kein Entkommen gab. Die, die als Bauern geboren wurden, blieben Bauern. Jeder Gedanke an Bildung wurde sofort im Keim erstickt. Die gesamte Macht lag in den Händen einer winzigen Minderheit. Ich habe einen Weg gefunden, dieses System aufzubrechen. Nach den Pestjahren herrschte das Chaos, doch das Chaos war immer noch besser als die vorherige Ordnung.«
»Deine Lösung hat Millionen und Abermillionen Menschen das Leben gekostet.«
»Ja, aber ihre Nachkommen konnten ein besseres Leben führen. Welche Möglichkeit hättest du dir für die Menschen in Europa gewünscht? Tod oder Hoffnungslosigkeit?«
»Hast du deswegen eine weitere Seuche geplant? Um das System aufzurütteln?«
»Ich habe keine Seuche geplant«, widersprach Adam. »Frag die Schlangengöttin, Haven. Sie ist die Einzige, der du vertrauen kannst. Sie ist die Einzige, die keinen Grund hat zu lügen.«
»Sie hat Visionen aus der Zukunft gehabt, Adam. Es wird eine Seuche geben.«
»Und dafür bin ich die einzig mögliche Erklärung?«
Darauf fiel Haven keine Antwort ein.
»Ich spüre deine Unsicherheit. Tief in deinem Herzen weißt du, dass ich unschuldig bin, aber da ist noch etwas anderes«, fügte Adam hinzu. »Was haben die Horae noch zu dir gesagt?«
»Es geht nicht um etwas, was sie mir gesagt haben, Adam. Sondern um etwas, was ich selbst gesehen habe. Ich hatte eine Vision von Pieros und Naddos Leichen, die zu deinem Haus geliefert wurden. Man hatte ihnen die Kehle durchgeschnitten.«
»Ja, ich habe ihre Leichen aus dem Fluss fischen lassen. Ich hatte gehört, dass sie ermordet worden waren, und ich wollte dir die Möglichkeit geben, sie angemessen zu bestatten.«
Haven schüttelte energisch den Kopf, so als könnte sie seine Lügen auf diese Weise daran hindern, in ihrem Verstand Wurzeln zu schlagen. »Du hast meinen Bruder getötet und mich in dem Glauben gelassen, es wäre meine Schuld!«
»Nein, Haven. Auch in diesem Punkt sind deine Vorwürfe unberechtigt. Du hast dich selbst dazu entschieden, die Wahrheit nicht zu sehen. Diese Stückchen aus deinem früheren Leben machen noch nicht die ganze Geschichte aus.«
Das waren beinahe dieselben Worte, wie auch Leah sie benutzt hatte. Und Leah Frizzell log niemals. Haven fühlte, wie ihre Wut verpuffte. Sie konnte ihn nicht für ein Verbrechen verurteilen, ohne sich sicher zu sein, dass er es begangen hatte.
»Würdest du gern wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist?«, fragte Adam.
»Das hast du mir schon erzählt. Ich habe den Horae geholfen, dich einzusperren.«
»Das war nicht das Ende, Haven. Du hast mich eingesperrt. Aber dreißig Jahre später hast du es dir anders überlegt. Du warst diejenige, die mich wieder freigelassen hat.«
»Wirklich?«, fragte Haven.
In diesem Augenblick hörten sie das Geräusch von Stein, der über Stein schleift, und das Quietschen eiserner Türangeln unter großer Last. Haven stürzte in den Vorraum, um gerade noch zu sehen, wie das letzte Licht der Wintersonne aus der Gruft verschwand. Der Eingang war verschlossen. Sie hörte das leise Knarzen eines Schlüssels im Schloss. Dann herrschte nur noch Stille.
»Halt!«, schrie Haven und trommelte mit den Fäusten gegen die Tür. »Ich bin noch hier drin! Halt!«
»Niemand wird dich hören«, sagte Adam hinter ihr. »Die Wände sind mehr als dreißig Zentimeter dick.«
Haven fuhr zu ihm herum. Das Licht der Lampe ließ Adams Augenhöhlen tief wirken, und seine bleiche Haut schimmerte wie Alabaster. Der Schatten, den er an die Wand warf, sah aus wie der eines Riesen. Adams menschliche Fassade begann zu bröckeln, löste sich langsam auf. Haven war in einem Grab gefangen, mit einem Mann, der mehr – oder vielleicht auch weniger – als ein Mensch war. Mit einem unsterblichen Wesen, das wusste, dass sie ihn hintergangen hatte.
»Wie es scheint, bist du ausgetrickst worden«, bemerkte Adam. »Die Horae haben offenbar nicht geglaubt, dass sie dir trauen können.«
Einen Moment lang fand Haven ihre Stimme nicht wieder. Sie steckte irgendwo tief in ihrer Kehle fest und drohte sie zu ersticken.
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