Alles Ist Ewig
einzige Geruch, den sie wahrnahm, war etwas wie Erde. Dann öffnete sie die Augen.
Sie lag mit dem Gesicht nach unten. Ihre Tränen benetzten die Erde unter ihr, während die Kälte langsam durch ihr Samtkleid und unter ihre Haut kroch. Er ruhte tief unter ihr, verborgen in dem gefrorenen Boden. Beatrice hob den Kopf. Es war erst ein paar Monate her, dass sie ihn hier unter der Eiche begraben hatten. Das Land ringsum war einmal eine wunderschöne Wiese gewesen. Jetzt sah es aus wie ein Flickenteppich aus frisch aufgeschichteten Gräbern, soweit das Auge reichte. Halb Florenz leistete Piero hier Gesellschaft.
Beatrice betete, bald auch zu ihnen zu gehören. Nach allem, was sie getan hatte, hatte sie es verdient zu leiden. Aber die Pest hatte sie verschont. Sie lebte nun bei den Schwestern im Kloster und konnte von ihrem Fenster aus dabei zusehen, wie Florenz starb. Dabei versuchte sie, nicht an den Mann zu denken, den sie tief unter der Erde eingesperrt hatte. Zweimal in der Woche verließ sie ihr Zimmer, um sich an das Grab ihres toten Bruders zu setzen und um Vergebung zu bitten.
Als Haven erwachte, hielt die Traurigkeit an. Die Beatrice, die sie gesehen hatte, war nur noch ein Häufchen Elend gewesen. Sie hatte kein Vertrauen mehr in irgendeinen Menschen gehabt, nicht einmal in sich selbst. Alles, woran sie geglaubt hatte, war zerstört worden, und alle Menschen, die sie geliebt hatte, waren von ihr gegangen. Haven wusste, dass die Vision ihr eine Warnung sein sollte. Sie würde Beatrices Schicksal teilen, wenn sie Beau verlor.
»Nun?«, fragte Phoebe.
»Es war schrecklich.« Trotz der Hitze im Raum zitterte Haven. »Piero war tot. Meine Familie war tot. Alle waren tot. Ich war ganz allein und ich hatte solche Angst.«
»Hast du Naddo gesehen?«, fragte Iain erwartungsvoll. »Irgendwas, das der Polizei helfen könnte, ihn in diesem Leben zu identifizieren?«
»Ich hab niemanden gesehen«, erwiderte Haven. »Beatrice war auf einer Wiese, die in einen Friedhof umgewandelt worden war. Ich lag auf Pieros Grab und habe ihn um Vergebung angefleht. Aus irgendeinem Grund habe ich mich für seinen Tod verantwortlich gefühlt.«
»Weißt du, warum?«, forschte Phoebe nach.
»Nein«, antwortete Haven. »Wie er gestorben ist, habe ich nicht gesehen.«
»Dann werden wir uns noch einmal treffen müssen«, sagte die alte Frau. »In zwei Tagen.«
»In zwei Tagen!«, rief Iain. »Wie lange soll das Ganze denn noch dauern?«
»So lange, wie es muss«, entgegnete Phoebe ruhig. »Und jetzt unterhalten wir uns über Havens Gegenleistung.«
»Aber …«, begann Haven.
»Ich dachte, ich hätte hinreichend klar gemacht, dass unser Plan keinerlei Aufschub duldet«, unterbrach Phoebe sie. »Ich dachte, du würdest auch lieber so bald wie möglich damit beginnen. Jede Minute könnte für deinen Freund zwischen Leben und Tod entscheiden. Und ich bin sicher, du möchtest auch nicht für das verantwortlich sein, was mit den Kindern in der Ouroboros-Gesellschaft passiert.«
»Nein! Aber …« Haven versuchte verzweifelt, sich aus dem Treibsand von Phoebes Logik zu befreien, doch sie war schon zu tief hineingeraten.
»Gut, dann wollen wir nicht noch mehr Zeit verschwenden. Als Erstes muss ich darauf bestehen, dass du dieses Haus nie auf eigene Faust aufsuchst. Wir werden dich alle paar Tage zu einer Sitzung abholen, und früher oder später wirst du die Vision haben, die du suchst.« Phoebe machte eine bedeutungsvolle Pause. »Solange du tust, was man von dir verlangt. Bist du nun bereit, dir unseren Plan anzuhören?«
Haven seufzte. »Ich bin ganz Ohr.«
»Morgen früh wirst du bei der Ouroboros-Gesellschaft vorstellig werden und verlangen, Adam Rosier zu sprechen.«
»Was?« Iain stemmte sich auf die Knie hoch und riss sich den Mundschutz vom Gesicht. »Es war nie die Rede davon, dass sie sich mit ihm treffen muss!«
Vollkommen ruhig nahm Phoebe ihren eigenen Mundschutz ab. »Bitte lassen Sie mich ausreden, Mr Morrow. Haven wird sich morgen mit dem Magos treffen. Sie wird ihn um Hilfe bei der Suche nach ihrem Freund bitten. Und sie wird ihm außerdem gestatten, ihr eine Unterkunft anzubieten.«
»Warum?«, fragte Haven, während Iain vor Wut schäumte.
»Weil du ihm für den zweiten Teil deiner Aufgabe sehr nah sein musst. Du musst dafür sorgen, dass er unachtsam wird, damit wir zuschlagen können.«
»Und wie soll ich das bitte schön anstellen?«, wollte Haven wissen.
»Indem du so tust, als
Weitere Kostenlose Bücher