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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Mrs. Labov einkaufen ging, obwohl er weiß Gott genug zu malochen hatte für seinen Abschluss an der Universität und dann den Doktortitel, als Mrs. Labovs Venenentzündung so schlimm wurde und ich im Geschäft schneidern musste und der Fahrstuhl im Haus ausfiel und der Vermieter, der uns schon unter Kennedy und Johnson an die Luft setzen wollte, sich mit Reparaturen wieder mal verbrecherisch viel Zeit ließ, und Sandra Len immer einen Einkaufszettel gab.
    Mrs. Tagus erklärt Lenny am Telefon, dass er jetzt aber mal einen Punkt machen soll. Dass sie als Mutter jetzt mal Tacheles reden wird. Es liegt ein gewisser Nachdruck in der Stimme eines Menschen, der alltäglich Magenschmerzen hat. Die Kälte meiner Küche bereitet mir Schmerz in den Händen, und ich schiebe sie unter die Arme, unter den gefütterten Mantel, genauso gefüttert wie Arnold Tagus’ alter Mantel, den ich geschneidert habe.
LENNY
    Während ich mit meiner Mutter sprach und ihr zuhörte, mir ihre Hand vorstellte, die sie entweder auf den Magen oder ihre Augen legte, die zwei Brennpunkte all ihrer Schmerzen, die sie anzieht und wie kostbare Schätze hütet, Mr. Labov zweifellos an seinem schwarzen Teekessel, die alte Schlabberhose an den Knöcheln verdickt, hinabgerutscht und die nördlichen Gefilde seines Gesäßes entblößend (mein Gott tun mir Leute leid, deren Schlabberhose Teile ihrer Gesäße entblößen), mir vorstellte, wie er gluckst und meiner Mutter aus einem Umhang aus Teedampf Blicke zuwirft, und dem Telefon, wobeimeine Mutter garantiert an der grellen, abblätternden Wand von Labovs vorsintflutlicher Küche Halt sucht; und während ich nochmals den Brief überflog, den meine Mutter zweifellos irgendwo an ihren Leib presste, diese verhängnisvolle Etüde in Desinformation, die ich nicht einmal hatte abschließen können, bevor ich sie abschickte, rasend in dem Wunsch, dass die Sache irgendwie einfach bekannt wird, rauskommt, das Warten vorbei ist und der stechende Knall vom Gewehr des Erste-Hilfe-Koffers –
    – war ich plötzlich roh und wie gelähmt von dem Drang, mitten im Gespräch – das wie üblich hauptsächlich aus Pausen bestand, dieser eigentümlichen Telefonkommunikation mit ihrer Mischung aus Distanz, Elektrizität und Einsamkeit – dem Drang … zu erklären. Mich zu erklären. Und während ich meine Mutter bestürmte, zu uns nach Hause zu kommen und dem essbaren Mädchen und mir zu helfen, Bonnie aus dem Dunkel von Besen, Putzlumpen und Lysol zu befreien und das alles gemeinsam zu fünft zu bekakeln – da stieg in meiner knutschfleckigen Kehle der verstopfte Reiz auf zu erklären, zu erläutern, zu entschuldigen, in mir und für mich die Wahrheit erlöschen zu lassen, die platte, unattraktive und uninteressante Wahrheit, die für mich durch nichts als eine kleine und zittrige Bleistiftzeile über dem südlichsten Pissoir der Herrentoilette meiner Büroetage an der Universität Gestalt angenommen und zwischen dem wirren Genitalienknäuel, das sie in Augenhöhe umgab, schlicht
    jetzt ist schluss mit lustig
    gelautet hatte …
    Stattdessen in elektromagnetischer Kommunikation mit meinem Fleisch und Blut, unter den Geräuschen von Becky und Bonnie und dem Gurgeln und Glucksen von Carlinas nacktem Kaffeerücken, gebeugt über eine an der weiblich besetzten Tagus-Bettseite verborgene Wasserpfeife; stattdessen sprudelte am Telefon ein Sturzbach von Irreführungen aus mir hervor, bürokratische Flatulenzen, mithilfe der Axiome eines alterslosen Kindes angestellte Berechnungen dessen, was seine Mutter hören möchte, Argumente, die aus der Grundannahme herauswirbelten, Bonnie und ich sind einfach nicht mehr die Richtigen füreinander, Mom, wir haben uns auseinandergelebt, wir sind nur noch wegen der Kinder zusammen und das ist ausgerechnet den Kindern gegenüber doch verantwortungslos.
    Aber ›jetzt ist schluss mit lustig‹, denn das ist manipulativ, hohl und erwiesenermaßen übel.
    Es gab da allerdings eine Episode, für einen Traum nicht schräg genug, in der Bonnie und ich Ende letzten Jahres eines Morgens vor Tau und Tag beide halb aufwachten. Synchron. In diesem Bett. Halb aufwachten, uns aufsetzten und im grünen Glühen der digitalen Weckerzeiger die dicken Umrisse des anderen ansahen; wir sahen einander an, erkannten uns und waren synchron schockiert; sahen uns schockiert an, riefen unisono » WAS ?« und sanken wieder in unsere Kissen und einen verquollenen Schlaf. Tauschten beim Frühstück unsere Erfahrungen aus und

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