Alles kam ganz anders
furchtbar schlecht. Ich mußte mich übergeben und fühlte mich hundeelend. Und dann fing ich an zu zählen und rechnen – ich hatte ja sechs Wochen lang meine Tage nicht gehabt!
Ach was! Warum gleich das Schlimmste glauben! Ich hatte gestern zuviel von einem süßen Kuchen gegessen – und ich hatte doch mal gelesen, wenn eine Frau einen schweren Schock erleidet, kommt es vor, daß die Periode ausbleibt.
Ich schob die Angst von mir, ich wollte nicht glauben, daß es etwas anderes sein konnte. Die Tage vergingen, die Wochen vergingen, ich hatte öfter die Übelkeitsanfälle und sagte mir selbst, das sei nur Nervosität, und das nächste Mal würde ich meine Tage ganz normal kriegen.
Die Anfälle von Übelkeit hörten auf, und ich war für eine kurze Zeit erleichtert. Das Schuljahr ging zu Ende, und die Angst, die ich tief in meinem Inneren seit Wochen, ja seit zwei Monaten gespürt hatte, wurde jetzt bewußt und versetzte mich in Panik. Was sollte ich bloß tun – was sollte ich tun?
Mutti würde erst viel später ihren Urlaub bekommen. Sie schlug vor, daß ich zu der alten Tante Hedwig in dem kleinen norddeutschen Dorf fahren sollte, da war ich immer willkommen. Und da, auf dem Lande, in der frischen, schönen Natur, würde ich mich erholen, meinte Mutti.
Ich war froh, daß ich fort konnte.
Tante Hedwig – also diese Großtante zweiten Grades, bei der wir in der ersten Zeit nach der Scheidung gewohnt hatten – empfing mich freundlich, ja beinahe herzlich in ihrer ruhigen, nüchternen Art. Aber nach einigen Tagen merkte ich, daß ihr Blick öfter forschend auf mich gerichtet war.
,Du bist so still geworden, Simone’, sagte sie eines Tages. ,Geht es dir nicht gut?’
Natürlich versicherte ich, daß es mir großartig ginge.
Aber Tante Hedwig ist Menschenkennerin, und sie hat dreißig Jahre lang als Hebamme gearbeitet.
Dann sagte sie eines Abends, kurz und ohne Umschweife: ,Hör, Simone. Was ist mit dir los? Bekommst du ein Kind?’
Dann fing ich an zu heulen.
Tante Hedwig schimpfte nicht. Sie war nur praktisch, nüchtern und hilfsbereit. Sie ist so ein Mensch, der sich für die Probleme anderer Menschen einsetzt, sie ist eine, die den Mut hat, jeder Situation in die Augen zu sehen.
Sie ließ mich weinen, ließ mich zur Ruhe kommen, bevor sie weitersprach.
,Ich habe sehr viele solcher Fälle erlebt’, sagte sie. ,Du mußt dir darüber im klaren sein, daß du jetzt unbedingt einen Plan für die nächsten Jahre machen mußt. Mit deiner Ausbildung wird es vorläufig nichts. Und du mußt finanzielle Hilfe haben. Der Vater muß für sein Kind sorgen. Wo ist er?’
Ich konnte nur ,Ich weiß nicht’ flüstern.
Wie soll man in Frankreich einen Mann ausfindig machen, der Jean-Louis Martin heißt? Der Name ist mindestens so häufig wie Peter Müller in Deutschland! Ich wußte nicht einmal, in welcher Stadt er wohnte!
,Ich muß mir die Sache durch den Kopf gehen lassen’, sagte Tante Hedwig.
Das tat sie dann. Und während sie nachdachte, kam überhaupt kein vorwurfsvolles Wort über ihre Lippen!“
Simone schwieg, trank wieder einen Schluck Orangensaft und wollte weitererzählen, aber da wurden wir unterbrochen. Es war Mama, die erschien, mit Titinchen auf dem Arm.
„Na, hier habt ihr es ja gemütlich“, sagte sie lächelnd. „Simone, haben Sie ein paar Extrawindeln mit, und vielleicht ein Höschen? Ich habe das bestimmte Gefühl, daß so was angebracht sein würde!“
„O ja, natürlich, ich habe beides…“
Sie nahm ihre Tochter, beeilte sich, zurück ins Haus zu kommen, wo sie ihre große Tasche ergriff und in Richtung Badezimmer verschwand.
Ich ging zurück in den Garten, holte die Gläser und die leere Saftflasche, und war dabei in tiefe Gedanken versunken. Was hatte die arme Simone alles durchgemacht! Ich war rasend gespannt auf die Fortsetzung ihrer Erzählung.
Ich guckte auf die Uhr. Liebe Zeit, den ganzen Vormittag hatten wir hier gesessen. Jetzt verrieten himmlische Düfte aus der Küche, daß eins von Grand-mères Spitzenmenüs gleich fertig war!
Aber das Ende von Simones Bericht wollte ich unbedingt hören. Dazu mußten wir eine Gelegenheit finden!
Papa bekommt ein Fotomodell und Simone einen guten Rat
„Es ist so merkwürdig“, sagte Simone.
Wir saßen am Kaffeetisch nach einem unglaublich guten Mittagessen. Grand-mère hatte mit einem glücklichen Lächeln eine Menge begeisterte Lobesworte kassiert.
„Was ist merkwürdig?“ fragte Mama.
„Ich habe das Gefühl,
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