Alles Land - Roman
ihrer Schlitten trug siebenhundert Pfund. Wie lange würden ihre Pferde die Last ziehen können? Noch immer ging es ja bergauf, und der scharfe Wind erleichterte die Reise nicht.
Bald schon mussten sie Polaris erschießen. Sie hatten ihn mit Ach und Krach Meile um Meile weitergebracht, bis er sich am Ende gänzlich aufgab. Dabei war seine Schlittenlast mittlerweile lächerlich gering, viel kleiner als die des ebenfalls müde wirkenden Kavaliers, der aber brav marschierte. Das meiste Gepäck würden sie Grauni aufhalsen müssen, der bislang als Einziger ohne ein Zeichen von Erschöpfung geblieben war.
Wieder war es Wegener, der das Geschäft des Todes besorgte, es hatte sich so eingespielt. Er führte das Tier ein Stück hinaus, so dass das Zelt zwischen ihnen und den anderen Pferden stand. Der große, leuchtend rote Fleck im Schnee wie ein Überfall von Farbe in ihr Leben, in dem es Farben kaum mehr gab. Auf dem Rückweg zum Zelt, mit einem Eimer Fleisch für Gloë in der Hand, sah Wegener sich noch einmal um und hatte dann bis zum Einschlafen
den Umriss der blutigen Lache vor Augen, wenn er die Lider schloss.
Für gewöhnlich war er der Erste, der am Morgen erwachte, sich aufsetzte und in dem engen Zelt ihrer Nachtruhe damit ein Ende bereitete. Er kroch aus dem kalten Schlafsack, knotete ihn sogleich zu einem Bündel zusammen, ohne Rücksicht auf die neben ihm zusammengekauert liegenden Nachbarn. Sie hatten sich geeinigt, dass jeder, den die Kälte von seinem Lager trieb, die anderen wecken durfte, damit sie so bald wie möglich weiterkämen. Aber wenn Wegener in der Frühe im Zelt rumorte, wollte von dieser Verabredung niemand etwas wissen.
Es störte Wegener, wenn Larsen, der unmittelbar neben ihm lag, sich mit gespielter Geste noch einmal auf die andere Seite drehte, er kannte den Klang seines großen Gähnens, das er dazu ausstieß, und erst recht den Geruch, der ihm dabei entwich und noch einen Moment unter dem niedrigen Zeltdach hing, das Gift des neuen Tages.
Hätte man ihm in diesen Momenten geweissagt, er müsste mit diesen drei Männern seinen Lebensabend verbringen, auf ebenso engem Raum wie hier, er hätte nicht gezögert, allein hinauszulaufen, um sich irgendwo am Ende seiner Kräfte in den Firn zu legen und zu warten, bis er aus diesem Zustand erlöst wurde. So aber blieb die Hoffnung, schon im Herbst an Elses Seite zu sein. Es gelang ihm beim besten Willen nicht, sich vorzustellen, wie es sein könnte, neben ihr zu erwachen. Er malte es sich schön aus, aber manchmal, wenn Larsen sich im Schlaf an ihn drängte und ihm mit seinen verklebten Haaren durchs Gesicht fuhr, überfiel ihn eine Panik, die ihn zwang, sich aufzusetzen und eine Weile einfach ein- und auszuatmen.
Wenn er dann ausreichend ruhig geworden war, um es noch einmal mit dem Schlaf zu versuchen, griff er nach dem schlafenden Gloë, legte ihn als warme Decke über sich und lag dann einfach da, die Augen auf die von der Nachtsonne erleuchtete Zeltbahn gerichtet, und wartete ab, dass der Schlaf ihn mit sich nahm.
Ihr Proviant bestand nun im Wesentlichen aus Pemmikan.
Schon am Folgetag gab es erneut Gepäck umzuladen. Kaum eine Meile von Polaris’ gewiss längst verschneitem Kadaver mussten sie eine Marschpause nutzen, um den Kavalier niederzuschießen. Sie trieben Gloë an, sich mit seinem Anteil zu beeilen, und versuchten dann den ganzen Nachmittag über vergeblich, den Rückstand auf ihre geplante Etappe aufzuholen.
Larsen und Wegener gingen von nun an auf Skiern. Direkt hinter ihnen Grauni, der auf diese Weise von allen Pferden den meisten Treibschnee abbekam. Ganz hinten lief Gloë, noch immer musste man sich bei jedem Aufbruch nach ihm umsehen, ob er auch kam. Das Skilaufen tat gut, Wegener war erleichtert, dass seine Blessuren unterdessen vollständig abgeheilt waren. Sie hatten nun den oberen Teil des grönländischen Rückens erreicht, die Skibahn war hier in der Höhe ausgezeichnet.
Allerdings war nun wiederholt der Laut zu vernehmen, den die Danmark-Expedition in ihrem Bericht beschrieben hatte, ein gewaltiger Seufzer, wenn eine der riesigen Schneeschollen unter dem Gewicht ihrer kleinen Reisegruppe
in sich zusammensank. Die Dame bekam jedes Mal einen Schrecken und stürzte vorwärts.
Dann machte ihnen erneut das Wetter einen Strich durch ihre Etappenplanung. Morgens war Wegener vors Zelt getreten und hatte gleich gesehen, dass sie an diesem Tag nicht vorankommen würden. Was ritt ihn dennoch, die Kameraden
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