Alles paletti
Steuerrad, fährt die kürzeste Strecke zum Hotelareal am Strip.
»Große Klasse«, begeistert sich Psych.
»Wir sind da«, versetzt Monty trocken. »Ich gehe in mein Zimmer hinauf, um den Start zu sehen. Ruft mich an. Zimmer 8137.«
14.19 Uhr. Lisa und Karl sitzen in ihrem leeren Zimmer im Seniorenheim in Florida. Karl sieht sich die Oprah Winfrey Show an, Lisa liest ein Buch. In der gleichen Sekunde, etwa siebzig Meilen weiter nördlich, in Cape Canaveral, an der Ostküste des schmalen Streifens, der sich der Staat Florida nennt, unweit der nördlichen Grenze zu Georgia, erwärmt die Columbia ihre Triebwerke. Lisa und Karl, wie die überwiegende Mehrheit der Einwohner ihres Seniorenheims und der Insassen Hunderter anderer Altersheime in Florida - und auch, wie ohne Übertreibung zu vermuten sein dürfte, die Mehrzahl der Einwohner Floridas, Amerikas sowie des Erdballs -, wissen so gut wie nichts über das Aufheizen der Triebwerke der Columbia oder über ihre gerade bevorstehende Reise ins All, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass auf diesem Flug Schwerkrafttests mit Tieren wie einer Kröte und einer Heuschrecke durchgeführt werden. Sie haben keine Ahnung.
Doch FBI-Agent Monty Cohen in Zimmer 8137 im Excalibur in Las Vegas sitzt wie gebannt vor dem Bildschirm. Er sieht den weißen Rauch, den Dunstfleck, der die annähernde Position des Raumschiffs dokumentiert, und er erinnert sich an Manhattan, 1981 - er und sein Bruder sehen dem Start der ersten Weltraumfähre zu. Die Rakete, die die Columbia schleppt, steigt mit einer Langsamkeit in den Himmel auf, die stets übertrieben wirkt, entwickelt dann Geschwindigkeit, es kommt der Moment der Ablösung, der Absturz in Richtung Meer - die Columbia ist so klein in diesem gewaltigen Raum … wie gelingt es den Kameras nur, das alles einzufangen? -, und die Columbia zieht ihre Bahn, an Bord die siebenköpfige Besatzung und ein paar Tiere, in den Weltraum, aus dem sie in gut zwei Wochen wieder zurückkehren soll.
Karl Lemmon kratzt sich am Hals. Sein Hals juckt schon seit einigen Tagen. Oprah hat ein Individuum zu Gast im Studio, das wie ein ehemaliger Marine aussieht, mit breiten Schultern und Stoppelkopf. Karl versteht nicht, worüber sie eigentlich reden. Er sagt zu Lisa: »Weißt du, sie waren ohnehin nicht viel wert.«
»Wer war nicht viel wert?« Lisa hebt den Blick von ihrem Buch, späht zum Bildschirm.
»Die Bilder. Die Bilder, die uns diese Dreckskerle gestohlen haben. Ich war auch nie besonders verrückt nach ihnen. Fälschungen von Breughel für zwei Mark vom Touristentrödel in Hamburg.«
»Sprich nicht so über meinen Vater. Sie sind nicht vom Trödelmarkt. Und es spielt überhaupt keine Rolle, ob es Fälschungen sind, Karl. Wir haben schon so oft darüber geredet, und du kommst immer wieder darauf zurück. Sie waren mir wichtig. Ich hatte eine Beziehung zu ihnen, wegen Papa.«
Karl brummelt zornig in sich hinein und versucht, sich wieder auf Oprah zu konzentrieren. Schließlich greift er nach der Fernbedienung, doch eigentlich weiß er nicht, auf welchen Kanal er umschalten möchte. »Dreckskerle«, sagt er wieder.
Lisa ruft entrüstet: »Aber Karl!!«
Monty klebt vor dem Fernseher. Sein Herz schlägt aufgeregt. Er weiß nicht, warum, oder vielleicht doch. Er möchte dort sein. Immer wollte er das. Er hätte mit Freuden mit einem der Männer in dem Raumschiff getauscht.
Psych betritt das Zimmer, knöpft sein Hemd zu. Er wirft einen Blick auf den Bildschirm und es entfährt ihm: »Diese verschissene Columbia.« Anschließend sagt er sachlich: »Okay, Kinder, an die Arbeit.«
DAS VERSPRECHEN
Dies ist das Versprechen von Las Vegas: Alles.
Du rollst über Straßen, die lang wie ein ganzer Kontinent sind oder grau wie der Himmel vor dem Sturm, friedlich ruhig wie die menschenleere Stille oder mit Autos in allen Ausführungen bepackt, tagelang, ohne Pause, weiter und immer weiter - und nun hältst du an. Genug. Ein tiefer Atemzug. Stille.
Die Stadt der Glücksspiele ist von einer großen Wüste umgeben; ein künstliches Extrem von Lichtern, Klimaanlagen, Technologie, gegenüber der krassen Natur draußen, dem Gleißen der Sonne, dem Blau des Himmels und der Hitze. Die
Nacht in Las Vegas ist von sonnenhellen Lichtern und dem Lärmen der Maschinen überflutet.
An jeder Ecke der Kreuzung Tropicana Avenue und Las Vegas Boulevard, bekannt als der »Strip«, gibt es ein Hotel: an der einen das Excalibur, die Märchenwelt aus dem
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