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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Selbstverwirklichungs-Fans hätten sich zu Agenten des
     Neoliberalismus instrumentalisieren lassen, meist ohne das überhaupt zu realisieren. Ève Chiapello dagegen sieht die Sache
     etwas anders. Schließlich habe die Managementkultur mit den Bestrebungen der Arbeitnehmer nach mehr Autonomie lange große
     Schwierigkeiten gehabt: »Das wird sehr deutlich, wenn man die Managementliteratur der sechziger Jahre nachliest«, erklärt
     sie. »Mit der Sozialkritik konnte das Management leichter umgehen – man gewährte Lohnerhöhungen, es gab soziale Kompromisse.
     Mit der zweiten Art der Kritik war das nicht so leicht. Immer wieder wird in der Literatur betont, Mitsprache und Selbstbestimmung
     könnten im Unternehmen nicht gewährt werden, Freiheit und Kreativität hätten im Unternehmen keinen Platz.« Die »Künst lerkritik « fiel langsam auf fruchtbaren Boden, »weil die Motivation der Beschäftigten sank. Und so wurde im Managementdiskurs zunehmend
     die Frage bedeutend, wie man die Motivation der Beschäftigten durch mehr Freiheit in der Arbeitsorganisation erhöhen kann.«
     Wie sehr sich die Unternehmensstrategen die Sehnsüchte nach Autonomie und Selbstverwirklichung auch zunutze gemacht haben
     mögen, so war doch entscheidend, meint Chiapello, »dass die Beschäftigten diesen Wandel auch wirklich wollten. Nur, weil er
     auf ein Bedürfnis reagierte, konnte dieser Wandel so erfolgreich sein.« 89
    |84| Noch mehr als bewusste Strategien – seien es die der Unternehmer, seien es die der Arbeitnehmer – hat aber wohl die materielle
     Verwandlung des Industriekapitalismus in den technisch avancierten Kulturkapitalismus die Metamorphose des Künstlers zum Role
     Model für das Wirtschaftsleben bewirkt. Die Notwendigkeit zur Beweglichkeit und Wendigkeit auf unsicheren Märkten, auf denen,
     was heute gilt, morgen schon meist veraltet ist, macht die Witterung für Trends, den Instinkt für das »Next Big Thing«, die
     avantgardistische Wucht, mit der Altes verabschiedet wird – also all das, was in den avancierten Künsten zum guten Ton gehört
     –, zu einer unerlässlichen Voraussetzung für ökonomische Erfolge. Nichts ist so wertvoll wie eine gute Idee. Nur ein Beispiel:
     Das Webvideoportal YouTube, das gerade 67 Angestellte hat und über nichts verfügt als eine Geschäftsidee und viel Webspace,
     wurde Ende 2006 für 1,6 Milliarden Dollar an Google verkauft. Und wenn, wie in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt, weniger
     die sachliche, praktische Seite einer Ware, sondern die kulturelle, symbolische das Entscheidende ist, dann wächst logischerweise
     auch die Bedeutung derjenigen, die dafür die Experten sind: die Bedeutung der Kreativen, der Spezialisten für das Zeichenhafte
     und das Symbolische, der Formmächtigen, Designer und Content-Provider, derjenigen, die das Mirakel vollbringen können, ein
     simples Ding mit einer Erzählung zu versehen. Das hat Auswirkungen auf fast alle Unternehmen, weil in ihnen die Dinge an Bedeutung
     gewinnen, die für die Kreativen seit jeher bedeutend sind – in ihnen wird das Emotionale, Affektive und Narrative wichtiger.
     Kommunikative Kompetenzen werden nicht nur entscheidend für den Erfolg
des
Unternehmens, sondern sie werden auch zum Hauptfaktor für beruflichen Erfolg
in diesen
Unternehmen.
    Die Emotionen und Affekte werden direkt verwertbar. |85| Das macht das Ökonomische emotionaler – und die Emotionen instrumenteller.
    Dieses neue »Kreativitätsparadigma« formt alle Erwerbszweige um, hat aber auch Auswirkungen auf die Künste selbst – im engeren
     wie im weiteren Sinn. So wie die Wirtschaftswelt als Ganzes künstlerischer wird, so wird die Kunstwelt ökonomischer. Aus der
     Erfahrung, dass sich kulturelle Kompetenzen ökonomisch rechnen
können
, entpuppte sich im Handumdrehen der Imperativ, dass sich kulturelle Kompetenzen rechnen
sollen
, ja
müssen
. »Kein kultureller Event mehr ohne Verweis auf die gestiegenen Hotelbettenzahlen und Restaurantumsätze« 90 , schreibt die ehemalige Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler in ihrem Buch »Verflüssigungen«. Subventionsgeber und Mäzene
     erwarten heute einen expliziten und unvermittelten
Return of Investment
. War früher noch von »der Kunstwelt« oder »der Kunstszene« die Rede, so sind die Catchphrasen heute »Creative Industries«
     und »Cre ative Classes« – Erstere seien die Avantgarde- und Leitbranchen unserer Zeit, Letztere sind die Leute, die in diesen arbeiten.
     Wobei die

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