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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Creative Classes nicht nur die alten Künstlertätigkeiten umfassen, sondern logischerweise in viele andere Berufsfelder
     diffundieren, sofern kulturelle Kompetenzen in diesen an Bedeutung gewinnen (also in nahezu alle). Tendenziell werden alle
     Industrien zu »Creative Industries«.
    Schon stellen die Kulturberufe in der Bundesrepublik mehr Arbeitsplätze als die traditionell zentrale Automobilindustrie,
     rechnet Adrienne Goehler vor, die jährliche Wertschöpfung liegt bei 30 Milliarden Euro – ist also mit dem gesamten Energiesektor
     vergleichbar. In den USA werden den »Cultural Creatives« bei einer Gesamteinwohnerzahl von 300 Millionen Menschen rund 50
     Millionen Menschen zugerechnet – nur unwesentlich weniger, |86| als Frankreich Einwohner hat. »Die Konzentration kreativer und talentierter Leute ist ausgesprochen bedeutend für Innovation«,
     rechnet Richard Florida vor, der mit seinem Buch »The Rise of the Creative Class« den Begriff erst populär machte. Gewiss
     kann man fragen, ob Sänger und Werbetexter, Romanciers und TV-Moderatoren, Poeten und Popsternchen, Weltstars und Lokalcelebrities,
     Barenboim und Bohlen, Webdesigner, Universitätsprofessoren, Kulturmanager, Innenarchitekten, Handyklingeltonprogrammierer,
     die
Vanity-Fair
-Redakteurin, die Redaktionsassistentin bei RTL, Yoko Ono und Nadja Abd el Farrag wirklich alle Teil einer einzigen »Kreativen
     Klasse« sind. Dennoch ist der Begriff nicht ganz unbrauchbar, sind sie doch alle Zeichenproduzenten, die am imaginären und
     symbolischen Fundus unserer Zeit arbeiten – alle eben auf ihre Weise. Und zudem hat ihr aller Tun heute viel unmittelbarere
     nationalökonomische Auswirkungen als früher etwa das Komponieren Beethovens, das Dichten Hölderlins oder selbst das Bauen
     Schinkels. Das intellektuelle Kapital der Künstler-Unternehmer stellt den »Motor dieser neuen Ära« dar, schreibt Jeremy Rifkin.
     Während physisches Kapital für Unternehmen mehr und mehr als Betriebskosten gesehen wird, sind »Konzepte, Ideen und Bilder
     – keine Gegenstände – die wahren Wertgegenstände dieser neuen Wirtschaftsordnung« 91 . Die Kulturkreativen sind die Leitgestalten, und wenn sie auch bei Weitem nicht die Mehrzahl der Beschäftigten stellen, so
     sind sie doch die Minorität, der die Zukunft gehört, und darum ist es nicht so verwunderlich, wenn Werte wie Kreativität,
     Autonomie, Selbstverwirklichung – die früher Vokabeln des Rebellischen waren – zu gefragten Tugenden im Wirtschaftsleben werden,
     auch weit über die Grenzen der Kreativbranchen hinaus.
    Ist das alles nur heiße Luft? Nun, man hüte sich vor |87| vorschnellen Urteilen. Wenn das Simulacrum des Tauschwertes beinahe schon die schiere Erinnerung an den Gebrauchswert auslöscht,
     dann sind die Meister des Symbolischen entscheidend für die Warenproduktion. »Mar kenprodukte , Alltagsobjekte, massenproduzierte Konsumartikel sind primäre Identifikationsmerkmale einer konsumorientierten und marktwirtschaftlich
     organisierten Gesellschaft«, schreibt der Kulturtheoretiker Max Hollein. »Dabei sind die Rituale und Zeichen des Shoppings
     oft nicht weit von denen der Kunstwelt entfernt … Die Ästhetik der Waren, der Glanz der Dinge erzeugt eine synthetische Umgebung
     des permanenten Begehrens und Begehrt-sein-Wollens. Waren bekommen dabei eine neue Identität, Bedeutung und Seele.« Anders
     gesagt: Wenn alle Waren den Charakter von Kulturgütern haben, dann werden »auch alle kulturellen Produktionen zu Waren« (Bazon
     Brock).
    Die »Kulturwirtschaft« ist das am schnellsten wachsende Segment der Ökonomie. Die »Kreativen Klassen« – gerne auch »Bourgeois
     Bohemiens«, salopp »Bobos«, genannt – konzentrieren sich in ausgesuchten urbanen Ballungsräumen (was im Umkehrschluss heißt,
     dass ganze Regionen »nahezu entvölkert« 92 von den kreativen Klassen sind). Mit leiser Ironie schreiben die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew Potter: »Sie
     müssen in einer ›coolen Umgebung‹ leben, zusammen mit einer großen Zahl von Gleichgesinnten. Die Stadt … muss sich auf die
     Bedürfnisse der kreativen Klassen einstellen« und benötigt dafür »jede Menge schicke Cafés, vegetarische Restaurants und Spezialitätenläden.
     Sie benötigt eine multikulturelle, tolerante Bevölkerung mit vielen Einwanderern und Schwulen, dazu eine lebendige Musik-
     und Kneipenszene.« 93 Wer wildes Leben, lebendige Viertel, ein buntes Puzzle unterschiedlicher

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