Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
es das, was die Widerstandspotentiale der Unterprivilegierten vollends lähmt. Vor wenigen
Jahrzehnten konnte man noch mit einigem Recht von vielen »Kulturen« sprechen, von einer spezifischen Ober-, Mittel- und Unterschichtkultur.
Dem Stil der Etablierten |165| stand die proletarische Kultur gegenüber, eine spezifisch andere Form des Habitus, des Sprechens, der sozialen Interaktion,
die etwa in der Arbeiterklasse nicht als Manko empfunden wurde, sondern auch Ausdruck des Stolzes darauf war, dass man anders
ist als die Schnösel, die mit goldenem Löffel im Mund geboren wurden – »the hard working people, the salt of the earth«, wie
es in einem Song der Stones hieß. Ähnliches galt für die bäuerliche Kultur. Die an Mimikry grenzenden Versuche, sich an den
Stil der Oberen anzupassen, waren bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts Merkmal der kleinbürgerlichen Schichten, die
dafür von den Unteren verachtet und von den Oberen belächelt wurden. Über die kommerzialisierte Populärkultur, Fernsehen,
die Vorbildwirkung von Celebrities werden aber von den Massenmedien seit Jahrzehnten nur
eine
Kultur und
ein
Stil propagiert, die, wie die Jerusalemer Soziologin Eva Illouz schreibt, »der Mittelschichterfahrung näher stehen«, was zur
Folge hat, dass die Angehörigen der unteren Schichten permanent »mit Modellen konfrontiert sind, die ihre eigenen Lebensumstände
nicht widerspiegeln«. 149 Die unteren Schichten versuchen, den Mangel an symbolischem Kapital wettzumachen, in dem sie sich dem modernen Stil, dem
einzig akzeptierten Stil anpassen – was ihnen selten virtuos gelingt, da Habitus ein kulturelles Lernen voraussetzt, ein Gewusst-wie,
das man sich nur schwer antrainieren kann.
Wohin das führt, kann man erkennen, wenn etwa Gewerkschafter versuchen, so elegant, gewandt und medientauglich zu sein wie
Jauch, Gottschalk oder Westerwelle und sich dann mit schöner Regelmäßigkeit sagen lassen müssen, sie seien tollpatschig und
unfähig, die Herausforderungen der modernen Mediengesellschaft zu bewältigen. Was freilich nichts anderes heißt als: Sie sind
nicht gewandt im Stil der oberen Mittelschicht.
|166| Seltsam, dass kaum je jemand erwidert: Wenn sie es wären, dann bräuchte es keine Gewerkschafter mehr.
»Bestimmte Gruppen haben einen viel größeren Einfluss als andere auf die Kontur der gegenwärtigen Konsumkultur«, schreibt
Celia Lury in ihrer Vermessung der »Consumer Culture«, etwa »in ihrer Fähigkeit, die Entwicklungen von Mode zu beeinflussen«. 150 Müssen diese Gruppen auch nicht notwendigerweise die »wirtschaftlich Mächtigen« sein, so sind sie doch die symbolisch Arrivierten,
während die Unterchic-Milieus auch symbolisch abgehängt sind. Und im postfordistischen Kapitalismus gehen materielle und kulturelle
Bedrängnis der Unterschichten Hand in Hand. Ihre Bedeutung für die materielle Produktion, die sachliche Seite der kapitalistischen
Ökonomie, haben die Unterprivilegierten in den entwickelten Industriegesellschaften verloren – die Handarbeiten machen Maschinen,
oder sie wurden nach Fernost verlagert. Anders als die Proletarier früherer Zeiten, die, mögen sie auch ausgebeutet worden
sein, so doch gebraucht wurden, weil sie die Fabriken am Laufen hielten, werden die heutigen Unterprivilegierten für die Produktion
nicht mehr gebraucht – sie sind in der Logik des Systems »überflüssige Menschen«, wie das der französische Soziologe Robert
Castel nennt. Das betrifft nicht nur diejenigen sechs bis acht Prozent der Bürger, die in Feldstudien schon mit dem Attribut
»abgehängtes Prekariat« charakterisiert werden, sondern frisst sich weit in die Mittellagen hinein – als Unsicherheitsgefühl,
getragen von dem realistischen Bewusstsein, täglich ersetzt werden zu können. Selbst viele derer, die noch gut situiert sind,
sind von der sicheren Ahnung gepeinigt, die Zeit ginge über sie hinweg. Abgehängt sind diese Bedrängten freilich, weil es
ihnen an den symbolischen, kulturellen Kompetenzen fehlt, die heute die Voraussetzung dafür sind, dass ein |167| Beschäftigter für seine Firma »unersetzbar« wird, weil sie mit den Moden, den Pirouetten des modernen Stils, dem gewandten
Spiel mit Images nicht mitkommen. Kurzum: Weil sie nicht aktiv, sondern höchstens passiv am kulturellen Spiel teilnehmen,
das für den zeitgenössischen Konsumkapitalismus konstitutiv ist.
Mit einem Wort: Wer vom Lifestylekapitalismus
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