Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
unerträgliche Abendessen, das der arme Mann am Thanksgiving-Tag in Feralds Haus genoß, kann man sich lebhaft vorstellen. Ferald mag Geld haben, aber seine Gespräche sind keiner Aufmerksamkeit wert. Und was seine Frau Millicent angeht – ich schaudere allein bei der Vorstellung.
In seinem Schreiben vom 6. Dezember verfolgt Asher mit der Nachricht von seiner Wahl Etna (brieflich) nach Exeter. Und dann legt er die Entscheidung darüber, ob er das Amt des Vorstands annehmen soll, in ihre Hände! Ist das nicht ein so greifbares Zeichen seiner Verehrung wie etwa eine Jetbrosche? Und als er keine Antwort erhält? Da nimmt er den Posten an, wie er das zweifellos so oder so getan hätte.
Ich kann nicht für andere Leser dieses Briefwechsels sprechen, aber ich muß doch darauf hinweisen, wie die beiden mit dem recht pathetischen Austausch vom 15. und 18. Januar die Grenzen der Freundschaft überschreiten: »Verzeihen Sie mein Schweigen.« – »Es gibt nichts zu verzeihen.« In beiden Briefen fehlen die Schlußformeln, und das verleiht ihnen etwas Atemloses, das an die Stimmung zwischen Liebenden erinnert. Sowohl Phillip als auch Etna kommen immer wieder auf die Unangemessenheit ihres Briefwechsels zu sprechen, aber keiner scheint bereit, ihn zu beenden. Ganz im Gegenteil, Etna vertieft die Beziehung zwischen ihnen noch mit ihren »ethischen Fragen«. Die Fragen sind absurd, und man bekommt unwillkürlich etwas Mitleid mit Asher, dessen Unbehagen sich in seiner Antwort deutlich manifestiert.( Selbstverständlich ist es moralisch nicht einwandfrei, ein Zimmer anzumieten und dies vor dem Ehemann geheimzuhalten. Was hätte Asher denn sagen sollen?) Etnas Satzbildung in diesem Brief ist verschachtelt, als hätte sie ihre Gedanken nicht bändigen können. Es ist beinahe unmöglich, den Fragen zu folgen, und es drängt einen förmlich, diese Epistel zu redigieren. Ihr Stil hat zudem etwas Steifes und zeugt hier – wie soll ich sagen? – von recht undiszipliniertem Denken.
Ashers Antwort und Gegenfragen sind unter den Umständen absolut vernünftig, doch seinen anmaßenden Bericht über mein Verhalten in den ersten Monaten des Jahres 1915 finde ich unerhört. Es versteht sich von selbst, daß ich es als in höchstem Maß heuchlerisch empfinde, wenn er am 15. Februar schreibt, er wolle sein Gewissen als Angehöriger der Familie Asher beruhigen. Das ist meiner Meinung nach reine Pose und, schlimmer noch, nichts weiter als ein Versuch, sein bereits unentschuldbares Benehmen zu entschuldigen.
Natürlich trifft es mich, wenn ich lesen muß, daß Etna Asher am 20. Februar – mit einer gewissen Koketterie, würde ich sagen – auffordert, sie bei ihrem Vornamen zu nennen. Und ich kann nicht verhehlen, daß der letzte Brief, vom 20. April, mich tief verletzt hat. »Liebster Phillip«, schreibt Etna (Wochen der Intimität mit einer einzigen Zärtlichkeit übersprungen!). Was geschah zwischen dem verzweifelten Brief vom 9. März, als ihr ihre Situation in ihrer ganzen Verfahrenheit bewußt zu werden begann, und dem kurzen Schreiben vom 20. April, mit dem sie Asher um eine Zusammenkunft bittet? Ich vermute, sie wollte ihm das Häuschen zeigen. Gab es vielleicht weitere Briefe, die nicht aufbewahrt wurden? Hatten die beiden einander in der Zwischenzeit gesehen?
Die Entdeckung des Briefwechsels tat weh, und besonders weh tat dieses letzte herzliche Schreiben, aber zu der Zeit blutete ich bereits aus vielen Wunden. Völlig von Sinnen stolperte Nicholas Van Tassel mit Pfeilen im ganzen Körper umher und vergoß sein Blut auf den Feldern.
Ein Mann läßt sich zu einer unbesonnenen Äußerung hinreißen, die er dann sein Leben lang bereut. In Etnas Häuschen sprach ich von Scheidung. Ich wollte strafen, meine Autorität geltend machen. Ich wollte die Ehe mit einem Wort vernichten. Ich wollte meine Frau demütigen. Ein törichter Ausspruch aus dem Mund eines törichten Menschen. Habe ich es genossen, Etna mit meinen harten Worten zu erschrecken? Hat es mich gefreut, mit anzusehen, wie sie blaß wurde, wie ihre Beine ihr den Dienst versagten? Nun, einen Moment lang verschaffte es mir vielleicht eine gewisse Genugtuung. Aber wozu hatte ich es getan? Um mich selbst der Frau zu berauben, von der ich seit fünfzehn Jahren besessen bin? Der einzigen Frau, die ich je geliebt habe?
Ich weiß nicht mehr, wie es mir gelang, das Auto zu fahren, und wohin ich fuhr. Als ich nach Thrupp kam, war es schon dunkel. Ich hatte längst die
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