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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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erklärte sie in demselben Salon, in dem sie damals eingewilligt hatte, meine Frau zu werden. Sie hatte das Zimmer in einer Haltung betreten, als hätte sie mich lange erwartet, als hätte sie sich schon gewappnet, sich mit Mauern umgeben.
    Wir standen uns auf einem Perserteppich gegenüber. Verschwommen nahm ich Damast und Kristall wahr, Rosenholz und Seide, das Ergebnis der Renovierungsarbeiten vor so langer Zeit. Etnas Gesichtszüge waren angespannt, und mir fiel auf, daß sie dünner geworden war; vielleicht war es die Strenge ihres Ausdrucks und ihrer Haltung, die ihr einen königlichen Glanz verlieh.
    »Nein, nein.« Ich schüttelte den Kopf, sicher, daß hinter der getäfelten Tür ihre Schwester Miriam lauschte. »Das habe ich nicht ernst gemeint. Ich war unbesonnen. Ich war wütend. Etna, hör mir zu.«
    Sie blieb unerschüttert und wurde so reglos wie der Keepsche Vorfahr auf dem Ölgemälde an der Wand. Ihr Blick war ruhig und fest. Ich betrachtete sie und dachte, wie schon so oft zuvor, daß in ihren Adern fremdes Blut fließen mußte, vielleicht das einer überlegenen Rasse, das diese Mandelaugen und die hohen Wangenknochen hervorgebracht hatte, diese vollkommene Ruhe, die keinen Atem zu brauchen schien. Plötzlich kam mir ein Gedanke, der so verblüffend war, daß ich einen Moment lang das Gespräch nicht fortsetzen konnte. Warum hatte Phillip Asher mir – ausgerechnet mir – offenbart, daß er Jude war? Hatte er schlicht angenommen, ich wüßte das ohnehin, weil Etna mit seiner Familie bekannt war? Oder war vielleicht meine Frau selbst Jüdin?
    Ich musterte sie von neuem.
    »Bist du Jüdin?« fragte ich.
    Die Frage überraschte Etna. Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte sie.
    »Was soll das heißen?«
    »Meine Mutter hat ihren Vater nicht gekannt.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Die Mutter meiner Mutter war eine Dienstmagd. Sie bekam ein Kind von einem Mann, den sie später nicht nennen wollte oder konnte.«
    Das war neu für mich. Ich hatte einfach angenommen, meine Frau wäre mütterlicherseits angelsächsischer Herkunft. »Wieso glaubst du dann, daß du Jüdin sein könntest?« fragte ich.
    »Ich könnte alles sein«, antwortete sie.
    »Mein Sohn ist möglicherweise Jude?« fragte ich ungläubig.
    »Spielt das eine Rolle?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich aufrichtig.
    »Ich kann nicht mehr deine Frau sein«, sagte Etna so leise, daß ich nicht sicher war, ob ich richtig gehört hatte. Aber vielleicht wollte ich auch nur nicht richtig gehört haben. Draußen gab es Tumult wie bei einem Autounfall. Es kann nicht schlimmer gewesen sein, dachte ich, als dieser Konflikt im Salon.
    »Das ist kein ausreichender Grund«, sagte ich, Überheblichkeit auf Torheit häufend, als kennte ich die Gesetze; hochtrabende Worte vergeudend, wo einfache Worte der Liebe mehr bewirkt hätten.
    »Er wird ausreichen müssen«, entgegnete sie mit einer offenbar neu erworbenen, noch etwas zaghaften Bestimmtheit.
    Etna ging aus dem Zimmer und ließ ihren Mann, der daran gehindert wurde, ihr die Treppe hinauf zu folgen, zornig stammelnd zurück. Ich schüttelte Miriams überraschend kräftige Hand ab. Doch da traten Männer in den Flur. Man zwang mich, das Haus zu verlassen. Josip Keep bemerkte mit spöttischem Zungenschnalzen, tja, so eine Ehe sei nicht einfach.
    Ich fuhr nach Salisbury, einen Küstenort von schlechtem Ruf. Ich suchte ein Bordell auf, meine erste Entgleisung dieser Art seit fünfzehn Jahren. Nach einer Begegnung, an die ich mich heute nicht mehr erinnere, ging ich in eine Bar nicht weit vom Meer und trank eine Flasche Bourbon. Man ließ mich brummelnd in einer mit Leder ausgeschlagenen Nische sitzen. Am Morgen kehrte ich nach Thrupp zurück.
    Zu einigen Seminaren erschien ich, andere ließ ich ausfallen. Meine Frau sei weggerufen worden, sagte ich zu jedem, der aussah, als wollte er fragen. Ihre Schwester sei schwer erkrankt, fügte ich hinzu und erfand Miriam mit Vergnügen eine tödliche Krankheit. Meine Kollegen nickten ernst, und wenn sie zu zweifeln schienen, war es mir egal. Ich ging, bevor es zu Äußerungen des Mitleids oder Widerwillens kommen konnte. Ich war wortkarg und ungeduldig. Es hieß, ich sei nicht bei mir.
    Im Januar wurde ich zu Phillip Asher bestellt, der in das Büro des Vorstands umgezogen war. (Alle, einschließlich Asher selbst, waren offenbar bereit gewesen, hinsichtlich der Tatsache, daß er Jude war, beide Augen zuzudrücken.) Ich suchte ihn mit

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