Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
nickte – nicht erheitert oder mitleidig, sondern mit wahrer Anteilnahme, eine Fähigkeit der Seele, mit der, wie ich bald entdecken sollte, Etna Bliss in hohem Maß ausgestattet war.
UM NOAH FITCHS BÜRO ZU ERREICHEN, mußte der Besucher einen mahagonigetäfelten, mit Steinplatten gepflasterten langen Korridor entlanggehen, begleitet vom knallenden Widerhall seiner Schritte, der ihn lange vor seiner Ankunft meldete. Am Ende des Marschs erwartete ihn nichts Lohnenderes als eine einsame weiße Büste von Franklin Pierce auf einem Sockel vor einem riesigen Fenster mit Blick auf das Hofkarree.
Mit Fitchs Büro vertraut (und etwas außer Atem von eiliger Bewegung und Nervosität), klopfte ich energisch, um keinen Eindruck von Zaghaftigkeit aufkommen zu lassen. So ein zaghaftes Klopfen an der Tür konnte, wie ich aus eigener Erfahrung wußte, bei dem, der dahinter saß, leicht ein ungerechtfertigtes Gefühl der Überlegenheit hervorrufen; und Fitch, der zwar als Inhaber des Hitchcock-Lehrstuhls für Englische Literatur der Höhergestellte von uns beiden war, sollte auf keinen Fall glauben, seine Vorladung mache mir bange.
Fitch selbst öffnete mir. Er war ein imposanter Mann mit eisengrauem Haar, Backenbart und tadellosen Zähnen – vielleicht vererbt oder das Resultat gesunder Lebensweise, ich kann es nicht sagen. Ich wußte allerdings, daß Fitch überzeugter Vegetarier war und seit zwanzig Jahren kein Fleisch zu sich genommen hatte. Er kleidete sich stets sehr korrekt und hielt sich kerzengerade – auch mit fünfundfünfzig noch –, und ich hatte den Verdacht, daß er seinen Posten ebensosehr seiner stattlichen und angenehmen Erscheinung zu verdanken hatte wie seiner akademischen Bildung.
»Ah, ja. Van Tassel. Kommen Sie herein.«
Er führte mich in sein Büro, das selbst bei Tag düster wirkte, vielleicht wegen der zugezogenen Vorhänge. Es ist wohl überflüssig zu sagen, daß die Wände fast ganz von Büchern eingenommen waren, nur hier und dort wurde das monotone Bild von einigen persönlichen Objekten aufgelockert: einem Vogelkäfig, einem aus Blei gegossenen Hahn, einer mit Nelken gespickten Orange. An einer Wand hing ein recht ordentliches Porträt von Fitchs Ehefrau, das später seinen Weg in die Sammlung Elliot finden sollte.
Wir setzten uns einander gegenüber, zwischen uns die breite Platte seines Schreibtischs aus Kirschholz. Er hatte eine Akte vor sich.
»Sie wollten mich sprechen, Sir?« sagte ich.
»Richtig, Van Tassel.«
Er sah an mir vorbei, als müsse er seine Gedanken ordnen. (Von der Dringlichkeit, von der Moxon gesprochen hatte, war nichts zu merken.) Ich hatte in diesem Moment, wie schon früher bisweilen, den undeutlichen Eindruck, daß Fitch mich nicht besonders mochte – wobei man ihm allerdings zugute halten muß, daß er sich die größte Mühe gab, das zu verbergen. Diese feine Abneigung, davon war ich schon lange überzeugt, hatte ihren Grund darin, daß ich nicht in der Tradition Neuenglands, das ja nur meine Wahlheimat war, geboren und aufgewachsen war und es mir daher an Authentizität fehlte.
»Die Sache ist recht heikel«, begann er.
Augenblicklich schoß mir Hitze ins Gesicht. Was konnte so »heikel« sein? Hatte ein Student sich über ungerechtfertigte Strenge beschwert? Hatte ich in meiner derzeitigen Kopflosigkeit Tutorenstunden versäumt? War ich bei der Notengebung zu streng gewesen?
Er rückte ein Stück von seinem Schreibtisch ab. Als mir bewußt wurde, daß ich selbst vorgebeugt, wie in bittender Haltung, in meinem Sessel saß, richtete ich mich sofort auf.
»Uns verbindet ja«, sagte er, »ein gemeinsames Interesse an Sir Walter Scotts Schaffen.«
»Das ist richtig«, bestätigte ich.
»Und wir sind natürlich beide mit den wissenschaftlichen Arbeiten über diesen Autor vertraut, wie man das von uns erwarten kann.«
Ich nickte und widerstand einem Impuls, die Nase zu rümpfen; ich war überzeugt, auf diesem Gebiet weit besser beschlagen zu sein als Fitch, der, da seine Interessen zwangsläufig breiter gestreut waren, gar nicht dazu kam, einem Thema wirklich auf den Grund zu gehen.
»Nun bin ich kürzlich auf Ihre Monographie der frühen Romane Sir Walter Scotts gestoßen.«
(Regte sich in diesem Moment auch nur ein Hauch der Beunruhigung in mir? Ich glaube nicht. Noch nicht.)
»Ja?« sagte ich.
»Und rein zufällig kam mir eine Monographie von Alan Dudley Severence vom Amherst College in die Hände, in der ich – wie soll ich sagen? –
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