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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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verbergen. »Wie immer.«
    Diese Unverschämtheit, dachte ich.
    »Nun gut«, sagte ich. »Nehmen Sie den Text heraus.«
    Feralds geheucheltes Interesse ärgerte mich maßlos, vor allem da er eine höhere Bildung so wenig brauchte und ich bezweifelte, daß er sie je nutzen würde. Er würde, wie ich wußte, binnen kurzem beträchtlichen Grundbesitz erben und sich bereits in jungen Jahren als wohlhabender Gutsherr zur Ruhe setzen.
    Ich sagte Ferald, er solle sich mir gegenüber setzen. Er kam der Aufforderung mit einer Indolenz nach, die ich bewundert hätte, wäre er nicht mein Student gewesen und hätte ich es nicht so eilig gehabt, ihn loszuwerden. In diesem Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß es immer einen Ferald geben würde. Er würde vielleicht Wiles oder Mutterson oder einfach Box heißen, aber immer würde es einen jungen Mann geben, der sich über seine Lehrer lustig machte, wenn auch niemals offen, und sie durch sein Verhalten in hinterhältige Spielchen verwickelte, die ihn höchlichst amüsierten und bei denen er beinahe mit Sicherheit gewinnen mußte.
    Aber bei den Spielen zwischen Lehrern und Studenten hat am Ende doch der Lehrer das letzte Wort; und ich muß gestehen, daß ich, während ich dort saß und zusah, wie Ferald seinen Federhalter aus venezianischem Glas und sein in italienisches Leder gebundenes Heft herausnahm (beides zweifellos Andenken an Auslandsreisen), ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen begann, seine Leistungen beim Abschlußexamen bedauerlicherweise nicht ausreichend finden zu können und den jungen Mann daher durchfallen lassen zu müssen.
    Ich befand mich in einem Zustand emotionaler Erschöpfung, als Ferald gegangen war. Die Monographie, die Fitch mir mitgegeben hatte, lag auf dem Schreibtisch, aber ich beachtete sie nicht. Nichts drängte mich, sie zu lesen oder mit meiner zu vergleichen; ich wußte nur zu gut, was ich finden würde. Es war die reine Unaufmerksamkeit, sagte ich mir, die Folge von Zerstreutheit und Übermüdung. Und die Sätze waren ja schließlich nicht wortwörtlich gleich! Wenn es da eine auffallende Ähnlichkeit der Ideen gab, so mußte doch gefragt werden, ob Ideen das alleinige Eigentum eines Kopfes, einer Stimme waren. Konnte es denn nicht sein, daß ein brillanter Kritiker als Folge einer normalen Entwicklung auf einem bestimmten Forschungsgebiet im selben Jahr zu der gleichen Schlußfolgerung gelangte wie ein anderer? Und außerdem – stellten nicht die fraglichen Passagen, auf die Fitch hingewiesen hatte, nur einen verschwindend kleinen Teil des Ganzen dar? Dennoch, sagte ich mir, würde ich mich in Zukunft vor Hast und Zerstreutheit hüten und zu meiner gewohnten disziplinierten Arbeitsweise zurückkehren müssen.
    Die Woche wurde mit ihrem Fortgang nicht besser. Etna sandte ein kurzes Schreiben, um mir mitzuteilen, daß sie mich am Freitag nicht wie vereinbart sehen könne, da ein unerwarteter Besuch ihrer Schwester und ihres Schwagers ihre Zeit beanspruche; sie freue sich aber darauf, mich in der folgenden Woche zu sehen.
    Das bedeutete, daß ich beinahe zehn Tage auf eine Antwort auf meine Frage würde warten müssen, eine wahre Tortur. Ich quälte mich durch ein endloses Wochenende, indem ich mich bemühte, meine Kursvorbereitungen, die ich stark vernachlässigt hatte, auf den laufenden Stand zu bringen. Doch schon am Montag mittag versetzte mir William Bliss, der mich bei einem gemeinsamen Mittagessen des College-Lehrkörpers an meinem Tisch überraschte, unwillentlich einen grausamen Schlag.
    »Van Tassel«, sagte er, als er an meinem Tisch vorüberkam. »Ich bin erstaunt, Sie in Anbetracht der traurigen Nachricht bei so herzhaftem Appetit zu sehen.«
    Ich verstand nicht, was er meinte. Aber mir fiel auf, daß er keineswegs traurig wirkte.
    »Was für eine traurige Nachricht?«
    »Hat Etna Ihnen nicht geschrieben? Nein, vielleicht nicht. Es ging ja alles sehr plötzlich. Ihre Schwester und ihr Schwager trafen ganz unerwartet hier ein, um sie nach Exeter in den Schoß der Familie zurückzuholen. Ich vermute, Keep, der Schwager, fand es unangebracht, daß Etna anderswo Unterkunft gesucht hatte, obwohl doch er ihr allem Anschein nach das Elternhaus genommen hat. Ich habe offen gestanden den Eindruck, daß der Mann sie zur Gouvernante seiner Kinder machen will.«
    »Etna ist fort?« fragte ich entgeistert.
    »Leider ja.«
    Ich stand auf. »Das ist doch nicht möglich«, sagte ich so laut, daß mehrere Kollegen von ihren Tellern

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