Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
aufblickten.
    Bliss legte mir beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Ich fürchte, es ist so. Verzeihen Sie, daß ich es Ihnen so vor aller Öffentlichkeit mitgeteilt habe, aber ich dachte, Sie wüßten es.«
    Bliss war blaß geworden. Er war ein sanftmütiger Naturwissenschaftler, Gefühlsausbrüche waren nicht seine Sache. »Wollen wir nicht einen Moment hinausgehen?« schlug er vor.
    Ich ging mit ihm wie das Lamm zur Schlachtbank.
    »Wir waren ja selbst ganz bekümmert«, fügte Bliss hinzu, als wir vor dem Haus waren. »Aber dieser Keep hat eine ungemein überzeugende Art. Und meine Nichte hat offenbar kaum Einwendungen erhoben, zumindest habe ich nichts dergleichen bemerkt. Sie hat sich sicher gefreut, ihre Schwester wiederzusehen und nach Hause zurückzukehren, auch wenn die Umstände etwas …«, er zögerte, »… etwas zweifelhaft sind.«
    Ich konnte den Schlag nicht verwinden. »Wissen Sie die Adresse?« fragte ich scharf. »Ich muß sie aufsuchen.«
    »Aber, aber«, sagte Bliss und legte mir wiederum besänftigend die Hand auf die Schulter. »Sie sollten sich nicht zu sehr aufregen. Ich bin überzeugt, sie wird Ihnen zu gegebener Zeit schreiben.«
    »Aber ich liebe sie!« platzte ich heraus. »Ich möchte sie zur Frau. Das ist mein einziger Wunsch.«
    »Ach, mein Bester.« Bliss ließ die Hand sinken. »Sie überraschen mich, Van Tassel«, sagte er. Aber ich sah genau, daß lediglich der Zeitpunkt und die Heftigkeit meiner Erklärung ihn überraschten, nicht aber ihr Inhalt. »Erwidert denn Etna diese … diese Liebe?« erkundigte er sich milde.
    »Sie hat es nicht direkt gesagt«, antwortete ich. »Aber ich glaube, meine Zuneigung ist ihr nicht unwillkommen.«
    »Haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Erst vor fünf Tagen«, sagte ich.
    Beide Hände in mein Haar vergraben, wandte ich mich ruckartig von ihm ab. Ich konnte kaum einen Gedanken fassen. Etna fort? Etna fort ?
    »Sie müssen sich zusammennehmen«, sagte Bliss. »Ich bin sicher, sie denkt sorgfältig über Ihren Antrag nach. Lassen Sie meiner Nichte Zeit, Ihnen zu schreiben und Ihnen den Grund für ihre abrupte Abreise selbst zu erklären. Vielleicht werden Sie in diesem Brief auch die Antwort auf Ihre Frage bekommen.«
    Ich schüttelte nur den Kopf, viel zu erschüttert, um eine Antwort zu geben.
    »Und jetzt lassen Sie uns wieder hineingehen zu unserem Mittagessen, das inzwischen sicher kalt geworden ist«, sagte er. »Ich werde Brandy bestellen und dafür sorgen, daß Sie wieder etwas Farbe bekommen.«
    Aber ich war unfähig, den Speisesaal wieder zu betreten oder mit einem Menschen zu sprechen. Ich lief über den Rasen auf und davon und ließ einen zweifellos sehr erleichterten Bliss zurück, der sich nun wieder an seinen Maispudding setzen konnte. Ich erreichte meine Wohnung, ohne jemandem zu begegnen, dem gegenüber ich mich zu einem Austausch von Höflichkeiten verpflichtet gefühlt hätte. Taumelnd stolperte ich die Treppe hinauf und wünschte mir nur Alleinsein. Auf dem Flurtisch vor meiner Wohnung wartete ein Brief auf mich.
    28. März 1899
    Lieber Nicholas,
    bitte verzeihen Sie dieses plötzliche und unvermittelte Schreiben, aber ich möchte Sie doch wissen lassen, daß ich Thrupp und das Haus meiner liebenswürdigen Verwandten verlassen habe, um in mein Elternhaus in Exeter zurückzukehren, das jetzt meinem Schwager, Mr. Josip Keep, gehört. Die Abreise erfolgte so plötzlich, weil zu Hause dringende Geschäfte auf meinen Schwager warteten und er nur das Wochenende erübrigen konnte, um mich abzuholen. Bitte glauben Sie mir, daß es, obgleich ich vor der Ankunft meines Schwagers keine Ahnung von seinen Plänen hatte, einzig meine Entscheidung war zu reisen.
    Ich fürchte, ich habe die Gastfreundschaft meiner Verwandten allzulange in Anspruch genommen, wenn sie mir dies auch zu keiner Zeit andeuteten. Und da ich ein nützliches Leben führen und nicht allein von der Güte anderer abhängig sein möchte, hielt ich es für das Beste, zu meiner Schwester zu übersiedeln, um ihr bei der Erziehung ihrer Kinder behilflich zu sein. Denn meine Schwester hat leider wenig Sinn für geistige Bildung.
    Aber glauben Sie nicht, daß mir diese Entscheidung leichtgefallen ist. Ich habe Ihre Gesellschaft geschätzt, und Ihre Freundschaft hat mir viel bedeutet. Sie war stets anregend, und ich glaube nicht, daß ich mein Exil so frohen Herzens ertragen hätte, wäre nicht die Vorfreude auf Ihre Besuche und die Unterhaltung durch die wunderbaren

Weitere Kostenlose Bücher