Alles was ich sage ist wahr
unterhält sich jemand leise mit seiner Begleitung. Und neben der Tür sitzt Isak und liest etwas. Ihn hätte ich in dem Irrsinn fast vergessen. Aber da ist er! Noch immer! Wirklich ganz erstaunlich.
Nachdem ich ihn eine Weile angesehen habe, gibt es einen kleinen Kurzschluss in meinem Gehirn. Wahrscheinlich will es mir damit signalisieren, dass es jetzt allmählich reicht. Danke für dein Vertrauen, Alicia, aber das funktioniert so nicht. Nimm’s nicht persönlich, ja? Vielleicht laufen wir uns ja mal in der Stadt über den Weg oder so. Bis dahin!
Und damit schaltet sich die Hirnkapazität ab.
Einfach so.
KLICK!
Und mein Körper schaltet auf Autopilot um, ich habe keine Kontrolle mehr über ihn. Das ist unglaublich faszinierend. Ich sehe, wie meine Füße sich von dem Wischlappen auf dem Boden wegbewegen, durchs Café, ohne dass ich das bewusst steuere. Ich stehe neben mir und schaue zu, wie ich zu dem Tisch gehe, an dem Isak sitzt, wie ich vor ihm stehen bleibe und resolut seine Hand nehme.
Dann höre ich mich sagen, dass er mit mir kommen soll.
»Komm«, sage ich und ziehe an seinem Arm.
Er sieht mich erstaunt an.
»Warum … Wo wollen wir hin?«
»Frag nicht dauernd so viel. Komm einfach mit.«
Und dann sehe ich mich ihn hinter mir her zur Besenkammer ziehen, die Tür öffnen und ihn ins Dunkle schubsen, ihm folgen und die Tür hinter mir zustoßen, abschließen.
»Was hast du vor?«, fragt Isak.
Eine berechtigte Frage. Die Antwort bleibe ich schuldig.
Stattdessen drücke ich ihn an die Wand, lege meine Hand in seinen Nacken und ziehe seinen Kopf fast mit Gewalt zu mir runter, damit ich meine Zunge zwischen seine Zahnreihen schieben kann.
Einfach so! Sehr faszinierend.
Isaks Lippen sind trocken und seine Augen weit aufgerissen. Es ist ein bisschen, wie mit einer Wand zu knutschen.
Der Arme, wahrscheinlich ist er ziemlich geschockt.
Scheißegal.
Ich halte weiter seinen Nacken umklammert, kämpfe tapfer mit meiner Zunge und pfeife darauf, dass er sich fast von mir wegdrückt. Und siehe da, eine halbe Sekunde später lässt die Schockstarre nach, die Wand ist weg, und vor mir steht ein Mensch in der Besenkammer und der Mensch nimmt mich in seine Arme und zieht mich näher an sich heran.
Jetzt brauche ich meine Zunge nicht mehr gewaltsam zwischen seine Lippen zu schieben, ich darf so tief rein, wie ich will, so lange ich will. Und ich will. Himmel, und wie ich will! Auf der ganzen Welt gibt es nur noch diese Dunkelheit, diese Besenkammer, diesen Menschen. Ich presse mich mit meinem ganzen Gewicht gegen ihn und esse mich an seinen Lippen satt und ertaste seinen Körper mit meinen Fingerkuppen, würde mich am liebsten unter seine Haut graben, weil ich ihm gar nicht nah genug sein kann. Und trotzdem ist es noch zu weit weg.
Er hebt meine Arme in die Luft und zieht mir den Pullover über den Kopf und dann seinen aus, meine nackte Haut über dem Bauch berührt seine, und ich fühle. Fühle! Zum ersten Mal seit Tagen löst sich diese verdammte Glasblase auf, in der ich mich befinde, und verschwindet, und das ist alles so groß und überwältigend, dass ich fast Angst kriege, aber darauf pfeife ich auch, ich hab jetzt wirklich keine Zeit für Angst, ich hab keine Zeit für irgendetwas anderes als das hier. Für nichts anderes als Isak, überall.
* * *
»Du?«
Isak knöpft seine Hose zu und legt seine Hand auf meine Wange. Meine Augen haben sich einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt, aber ich kann trotzdem kaum seine Gesichtszüge sehen, fast nur Konturen. Von ihm, dem Wischmopp neben ihm und dem Waschbecken aus rostfreiem Stahl, auf dem er sitzt.
»Was war das gerade?«, fragt er.
Ich zucke mit den Schultern. Weiß ich doch nicht.
»Muss es einen besonderen Grund geben?«, sage ich schließlich. »Mir war einfach danach.«
Isak sagt nichts.
Er hat sein T-Shirt angezogen und kämmt sich mit den Fingern durch die Locken. Tiefer Seufzer.
»Verdammt«, sagt er dann.
Ich glaube ungefähr zu wissen, weshalb er flucht, sage aber nichts. Das ist sein Gewissen. Nicht meins. Ich hab auch so schon genug an der Backe.
»Du weißt, dass ich eine Freundin habe, oder?«
Er klingt ziemlich jämmerlich. Keine Ahnung, ob er sich selbst leidtut oder ob ich ihm leidtue oder erwähnte Freundin, aber ehrlich gesagt ist es mir auch ziemlich schnuppe. Das ist nicht mein Problem.
Isak legt das Gesicht in die Hände und murmelt irgendwas vor sich hin. Ich lasse ihn murmeln, ohne ihn zu unterbrechen, ziehe mich
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