Alles - worum es geht (German Edition)
Raum schickt, und beginne mit zitternden Fingern zusammenzurechnen: Das Zimmer kostet uns 4000 Pesos im Monat, und wenn wir jeden Tag essen wollen, reicht unser Geld für höchstens drei Wochen. Ich bin schockiert, wie teuer alles ist, selbst das Billigste. So wird unser Geld nicht einmal bis Weihnachten reichen. Ich muss mir sofort Arbeit suchen. Aber ich muss doch auch auf die Kleinen aufpassen. Oder sie müssen auch arbeiten. Aber was? Ich weiß es nicht. Wenn unser Visum ausläuft, sind wir illegale Flüchtlinge, und was können wir als solche hier machen? Zeitungen verkaufen? Oder putzen gehen? Die Zwillinge haben ihre Blockflöten mitgenommen, vielleicht könnten sie auf der Straße Musik machen?
Oder wir könnten aufs Land gehen, auf Plantagen Obst oder Tomaten ernten. Auf dem Land kann man sicher billiger wohnen, sodass es reicht, wenn nur ich arbeite. Andererseits ist in kleinen Orten das Risiko größer, entdeckt zu werden. Also müssen wir uns irgendwo einmieten, wo die Zwillinge tagsüber nicht aus dem Haus dürfen, und das geht nicht.
Ich schaue meine Geschwister an, die Hand in Hand schlafend im Bett liegen, betrachte ihre müden, schmutzigen Gesichter, die sich so ähnlich sind, nur Ivans Mund wirkt etwas entschlossener als Irenes offener.
Von der Straße dringen laute Stimmen herein. Ich drehe den Kopf und schaue durch den schmalen Spalt in der schmuddeligen Gardine auf den Widerschein des orangeroten Neonlichts an der dunklen Straße, während ich langsam auf meinem Stuhl hin und her schaukele, mit dem Gefühl im Kreuz, dass etwas schiefgelaufen ist. So richtig schief.
Lieber Gott, flüstere ich. Kommt uns jemand helfen?
Kommst du?
Bis der Tod uns scheidet
Da ist diese Wut. In meinem Körper verwickelt, im äußersten linken Arm, in der linken Hand, den Nägeln, ja, es beginnt in den Nägeln, läuft quer über den Rücken in den rechten Arm, die Hand, die Nägel, endet in den Nägeln, schlängelt sich gleichzeitig weiter, dreht sich in die Lungen hinein, legt sich um die Rippen, drängt hinunter in den Bauch, die Schenkel, links und rechts zugleich, kriecht, verheddert sich, ich spüre, wie es sich in meinen Knien zusammenzieht, in den Knöcheln, den Zehen, man braucht seine Zehen, wenn man losstürmen muss, und das werde ich jetzt gleich, es muss sein, denn es gibt Momente, da darf man töten.
Ich habe Angst, Angst vor dem, was er mir antun wird, wenn ich es nicht tue.
Der Gedanke erstickt mich, schnürt mir die Kehle zu, ein Blinkerknoten sitzt in meinem Hals, sodass ich nicht schlucken kann, schreien auch nicht, ich kriege keine Luft, mein Hals zieht sich immer enger zusammen, so eng, wie seine Hände sich gleich darumlegen werden, das weiß ich.
Ich weiß nämlich etwas über ihn . Alles über ihn.
Ich deute mit dem Messer, mit der Spitze des Messers, zur Ladentür. Aber die Sekunden laufen mir davon. Und auch dem armen Herrn Chi.
Warum musste er auch gerade jetzt hereinkommen, wo alles so glattlief?
Ich kenne ihn . Ich kann ihn nicht ausstehen. Aber wir haben lange in derselben Stadt gelebt. Er hat dafür nicht einen Tag bekommen. Ich denke noch immer jeden Tag daran. Das Gesicht meines kleinen Bruders zeigt mir ihn . Auch an Tagen mit ruhigem Ballspiel und aufgesparten Bonbons. Trockene Sonne im Herzen. Dann mache ich uns Hamburger und hämmere mit den Fäusten auf das Fleisch ein und stelle mir vor, dass die Fettklümpchen Tränen sind. Die er weint.
Herr Chi hatte nichts mit der Sache zu tun. Er hätte weglaufen sollen. So war das geplant.
Das ist jetzt sieben Jahre her. Und dreihundertsiebzehn Tage. Ich machte Pfannkuchen für Justins siebten Geburtstag. Aus Mehl und Margarine. Für etwas anderes hatten wir kein Geld.
Warum musste er gerade in dem Moment hereinkommen?
WENN DU NICHTS ZU ESSEN HAST FÜR DEIN KIND, DARFST DU RUHIG STEHLEN.
Das hab ich neulich an einer Mauer gelesen. In roter Farbe stand das da, KIND war mit T am Ende geschrieben, aber die Bedeutung war trotzdem klar. Ich bin derselben Meinung. Und für einen kleinen Bruder gilt es genauso.
Manche Sachen muss man einfach machen, auch wenn man das nicht darf.
Auch wenn Gott sagt, dass man es nicht tun darf, muss man es tun. Es ist besser so.
Damit die Kinder zu essen bekommen. In Gottes eigenem Land. Was auch immer nötig ist, damit die Kinder zu essen bekommen.
In der Kirche höre ich zu. Gott sagt: Gebt den Kindern zu essen . Ich höre genau hin. Ist das etwa nicht wahr?
Warum musste er auch gerade in dem
Weitere Kostenlose Bücher