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Alles Wurst

Alles Wurst

Titel: Alles Wurst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Guesken
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und bekam grünes Licht. Mit einem Laufzettel ausgestattet trabte ich hinauf in den dritten Stock und klopfte an eine weiß furnierte Tür.

    Ulf Castrop war ein Schwergewicht von mindestens zwei Metern Größe. Kein Sportlertyp, eher eine beeindruckende Fleischansammlung, die für einen Chef eines Betriebs seiner Branche möglicherweise auch repräsentative Zwecke erfüllte. Castrop trug eine blutrote Krawatte und ein hellblaues Hemd mit großen Schweißflecken unter den Armen. Seine Lippen wirkten dick und die Nase ragte ein wenig schief aus dem Gesicht.

    Als ich eintrat, grinste er breit. »Kommen Sie rein, wenn Sie bloß nichts über mich schreiben, Herr, eh …«

    »Voss«, sagte ich. »Ich schwöre, ich kann gar nicht schreiben.«

    »Nicht dass Sie denken, ich hätte was gegen die Presse. Aber das Dumme ist doch, die meisten dieser Schreiberlinge haben nicht den geringsten Schimmer vom Geschäft.«

    »Deswegen kommen sie doch her. Sie wollen, dass Sie sie aufklären.«

    »Aufklären.« Castrops Riesenschädel wackelte. »Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen, glauben Sie denn im Ernst, die wollen Aufklärung? Qualitätsstandards, Gesetze und Paragrafen, das wollen die. Schikanen ohne Ende.«

    »Haben Sie etwas gegen Qualität?«

    »Die Standards führen doch nur dazu, dass einem Kontrolleure vor die Nase gesetzt werden, die sich überall einmischen und von nichts Ahnung haben. Denken Sie denn, den Verbraucher interessiert es, ob er Fisch isst, Hühnerleber oder Rinderhirn? Das ist dem völlig wurst. Hauptsache, der Preis stimmt.«

    »Und das Mindesthaltbarkeitsdatum ist noch nicht überschritten«, fügte ich hinzu.

    »Heutzutage müssen Sie mitspielen, ob Sie wollen oder nicht. Was glauben Sie, was aus Osteuropa auf uns zukommt? Fleischfabriken so groß wie Stadtteile, die alles in einer Hand haben: Schweinezucht, Schlachten, Zerlegen und industrielle Verarbeitung in einer Hand. Da können Sie nicht gegen anstinken, es sei denn, Sie musizieren nach deren Regeln.«

    »Welche Regeln wären denn das?«

    »Einkaufen, wo es günstig ist. Verkaufen, solange das Zeug noch mausetot ist. Das ist die Devise.« Castrop erhob sich von seinem Sessel und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Mit einem Gang, der an den eines Elefanten erinnerte, trat er an die Glasfront, stopfte seine Hände in die Hosentaschen und ließ seinen Blick über die triste Heidelandschaft schweifen. »Wissen Sie, als ich anfing, da hat man von mir gesagt, dass ich einen rosa Daumen hätte. Man nannte mich Wurstfinger. Na ja, so ganz unrecht hatten die Brüder wohl nicht.«

    »Meinen Sie Ihren Bruder, Heiner Fricke? Oder die anderen Taufkumpanen? Haberland und Wallenstein?«

    Der wuchtige Körper vollzog eine schwerfällige Drehung. Castrop musterte mich neugierig. »Was haben Sie denn mit denen zu tun?«

    »Ehrlich gesagt, würde mich interessieren, was Sie mit denen zu tun haben. Laut einem Foto, das ich gesehen habe, waren Sie mal die besten Freunde.«

    Castrop tapste wieder zum Schreibtisch zurück und ließ sich auf dem Drehstuhl nieder. »Irrtum, mein Lieber, da sind Sie auf dem falschen Dampfer. Mich wollten die nämlich nie dabeihaben. Wissen Sie, warum? Weil ich nicht so auf Schwafeln stehe. Und meinen Bruder haben sie nur mit zwei Fingern angepackt, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will.«

    »Professor Haberland meint −«

    »Haberland.« Castrops Stimme bekam einen gehässigen Unterton. »Der große Professor Haberland. Hörte es immer gern, wenn er der Denker genannt wurde. Viele fanden, dass er ein Schwätzer sei.«

    »Und Wallenstein?«

    Der Fleischberg schnaufte. »Der ist noch schlimmer. Hält sich für Mahatma Gandhi persönlich und quatscht einem die Ohren voll über biologisch wertvolle Ernährung. Ich frage Sie, Herr Voss: Wer kann sich das nachhaltige Zeug denn leisten?« Castrop presste seine Lippen zusammen und rieb sie aufeinander, anscheinend eine Angewohnheit von ihm. »Als Heiner damals ins Wurstgeschäft eingestiegen ist, war er für die so etwas wie ein Aussätziger. Eines Tages, habe ich ihm gesagt, kommen die noch mal angekrochen, wart’s nur ab. Eines Tages bleiben die auf ihrem nachhaltigen Hintern sitzen. Und dann stehen sie bei dir auf der Matte und können froh sein, wenn für sie ein Wurstende abfällt.«

    »Wallenstein hat einen Finger gekriegt.«

    Castrop lachte in sich hinein, indem er eine Reihe kleiner Schnaufer hintereinander absonderte. »Wissen Sie, was ich gedacht habe,

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