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Allmen und der rosa Diamant

Allmen und der rosa Diamant

Titel: Allmen und der rosa Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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machen. Wer immer von den Kollegen ein Abreisedatum erfahre, würde ihn sofort unterrichten.
    Allmen schob einen Hunderter über den Tresen und bedankte sich herzlich.
    Das Wetter war schön genug für ein Mittagessen auf der Terrasse. Sie war voller wohlhabender Leute in Freizeitkleidung: Man trug viel Grünblau, Streifen, Polokragen, Embleme, Badges und handgroße Polospieler auf der Brust.
    Sokolow war auch da. Er saß im Schatten des Vordaches, wo sich kaum Gäste aufhielten, hatte nur Augen für seinen Laptop und schob sich ab und zu eine Gabelvoll in den Mund.
    Allmen blieb, bis Sokolow die Rechnung signierte und sich erhob. Er folgte ihm und sah, wie er im Aufzug verschwand. Das Display unter dem Liftknopf zeigte die zweite Etage an und erlosch. Allmen holte den Lift ins Parterre herunter und fuhr ebenfalls in die zweite Etage. Als er am Zimmer zweihundertvierzehn vorbeiging, hing an der Türklinke das Schild »Bitte nicht stören«.
    Allmen ging in sein Zimmer, setzte sich in den Sessel am Fenster, las und schlenderte jede halbe Stunde durch den Gang.
    Das Schild hing den restlichen Nachmittag über an Sokolows Tür.
     
    4
     
    Im Speisesaal sah er ihn wieder.
    Sokolow saß an einem Ecktisch für vier Personen, von wo aus er den Saal überblicken konnte.
    Allmen hatte man genau den gleichen Tisch zugewiesen, nur an der diagonal gegenüberliegenden Saalecke.
    Sokolow war der einzige Mann im Saal, der keine Krawatte trug. Er hätte keinen so guten Tisch gebraucht, denn er starrte während des ganzen Essens in seinen kleinen Laptop.
    Dabei war das Essen hervorragend. Allmen hatte das Degustationsmenü bestellt, etwas, was er gerne tat zu Beginn eines längeren Hotelaufenthaltes. Es war nicht nur ein Vertrauensbeweis an den Chef de Cuisine, es verschaffte ihm auch einen guten Überblick über dessen Stärken und Schwächen.
    Schwächen konnte er kaum entdecken. Beim Fisch nicht - gebackene Seezunge mit sautierten und im Olivenöl angeschwitzten und mit Weißwein abgelöschten Artischocken -, beim Geflügel nicht - im Schmortopf gegartes Maishuhn mit karamellisiertem Speck und Gemüse angerichtet -, beim Fleisch nicht - panierte Kalbsnuss mit Salbei-Anchovis-Beignets.
    Auch die Weinkarte konnte sich sehen lassen.
     
    Sogar einen seiner Lieblingsweine aus dem Priorat fand er: den Clos Martinet 1993. Ein wunderbarer Tropfen zum - für diese Rarität sehr anständigen - Preis von 260 Euro.
    Also keine Schwächen. Dagegen eine bemerkenswerte Stärke bei den Desserts. Auf dem Büfett präsentierten sich Nougatschokoladen-Kreationen, gebratene Ananas in Knusperschale, Zitronentartelettes, Vanillewindbeutel, verschiedene Millefeuilles, Crepes-Täschchen, Strudeltorten, Souffles, Kuchen, Cremes und eine atemberaubende Auswahl von Sorbets.
    Allmen hätte das Glücksgefühl, das ihn bei gutem Essen und Trinken in angenehmer Ambiance erfüllte, mehr genossen, wenn er nicht immer wieder auf sein Observationsobjekt hätte achten müssen.
    Dabei verlangte Sokolow gar nicht seine volle Aufmerksamkeit. Er war wie immer auf seinen Laptop konzentriert und schaufelte die Kunstwerke aus der Küche achtlos in sich hinein. Ein IT-Mensch eben.
    Aber einmal, als Allmen einen seiner regelmäßigen Kontrollblicke zu ihm hinüberwarf, hatte er sich vom Computer abgewandt und sah zu ihm her. Ihre Blicke begegneten sich, und Sokolow nickte ihm zu.
    Allmen nickte zurück und konzentrierte sich wieder auf seinen Teller.
     
    5
     
    Beim Frühstück am nächsten Morgen sah er Sokolow nicht. Allmen machte einen Rundgang durch die Hotelanlage, aber nirgends war er zu sehen. Er vermutete ihn am Strand, aber noch ehe er diesen erreicht hatte, vertrieb ein Platzregen die Badegäste. Er flüchtete auf sein Zimmer, stellte sich ans Fenster und sah auf das verhangene Meer und den menschenleeren Strand hinunter.
    Ein einsamer Strandwärter verriegelte die Körbe und sammelte die Badetücher ein. Vor einem der Strandkörbe blieb er stehen. Es sah aus, als würde er mit jemandem sprechen. Dann ging er weiter.
    Vor dem rauchgrauen Himmel hob sich in etwas hellerer Färbung eine Wolkenwand ab, aus der, weit weg, Regenschleppen ins Meer hingen.
    Plötzlich löste sich von den militärisch ausgerichteten Strandkörben eine hohe, weiße, mönchische Gestalt. Es war ein Mann im Bademantel des Hotels. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und ging auf das Spa zu. Gemächlich und ohne auf den strömenden Regen zu achten.
    Allmen zog die Badehose an,

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