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Allmen und der rosa Diamant

Allmen und der rosa Diamant

Titel: Allmen und der rosa Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Wolkenhintergrund hing ein dünner Wolkensack fast bis zum Meer herunter.
    Allmen nahm ein Buch aus der Strandtasche und begann zu lesen. The House on the Strand von Daphne du Maurier.
    Eine Stunde später wurde er abrupt von etwas aus dieser wunderbaren Zeitreise in die Gegenwart zurückgeholt. Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was es war.
    Eine russische Männerstimme.
     
    2
     
    Er hatte nicht bemerkt, dass sich das Wetter gebessert hatte. Es hatte aufgehört zu regnen, der Wind hatte sich gelegt, und manchmal ließ die Wolkendecke sogar ein paar Sonnenstrahlen durch.
    Allmen stand von seinem Strandkorb auf und sah sich um. Es waren jetzt einige Hotelgäste an den Strand gekommen. Viele hatten ihre Körbe so gedreht, dass die raren Sonnenstrahlen nicht wie bei Allmen nur die Rückwand trafen. Kinder spielten im Sand, und ein paar Tische bei der Strandbar waren besetzt.
    Die russische Stimme war genau hinter ihm. Sie klang nicht nach einem knapp Vierzigjährigen, sie musste einem alten Mann gehören. Sie erzählte gemächlich von einer anderen Zeit.
    Allmen hörte zu. Militärische Ränge kamen vor und Ausdrücke wie Kantonnement, Feldküche, Offiziersmesse, Wachkommando, Inspektion. Der alte Mann erzählte vom Militär. Und bald wurde Allmen klar, dass er von der Zeit sprach, als das Grand Duc von der Roten Armee requiriert war und er als junger Offizier die, wie er es nannte, schönste Zeit des Krieges verbracht hatte.
    Die Stimme des anderen Mannes klang jünger. Aber sie beschränkte sich auf einsilbige Kommentare und Ausdrücke der Bewunderung, Überraschung und des Erstaunens.
    Allmen ging zwischen den Körben vorbei zur Strandbar. So konnte er einen Blick auf den Erzähler werfen. Es war ein sehr bleicher Mann, dessen Körperfülle beide Plätze des Strandkorbs in Anspruch nahm. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und sah mit halbgeschlossenen Augen auf den Mann hinunter, der vor ihm im Sand kauerte.
    Der Zuhörer hatte Allmen den Rücken zugewandt, er konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber sein Haar war schütter. Und dunkelblond.
    An der Strandbar bestellte Allmen ein Glas Champagner. Gegen das Herzklopfen.
    Der Strandkorb Nummer zweiunddreißig war nur von hinten zu sehen. Allmen behielt ihn im Auge. Auf dem Rückweg würde er von der anderen Seite daran vorbeigehen und so einen Blick auf den Zuhörer werfen können.
    Nach dem zweiten Glas hatte das Herzklopfen aufgehört, und die Mischung aus Euphorie und Sorglosigkeit, für die er dieses Getränk so liebte, hatte sich eingestellt.
    Er unterschrieb die Rechnung und gab dem Barmann ein Trinkgeld, das diesem helfen würde, sich Allmens Namen und Zimmernummer zu merken. Dann schlenderte er zu seinem Korb zurück.
    Der alte Mann war noch immer am Erzählen. Aber der Zuhörer kauerte nicht mehr, er stand. Es war ein kleiner Mann, er kam nicht annähernd auf die ein Meter neunzig von Sokolow. Sein Gesicht war rundlich, und seine Augen lagen nicht tief.
    Allmen setzte sich wieder in seinen Korb und widmete sich seiner Lektüre.
    Nach einer Weile machte sich der Strandwärter am Nachbarkorb zu schaffen. Schloss ihn auf, entfernte das Holzgitter, zog die Fußstützen heraus, klopfte den Sand ab.
    »Danke«, sagte der Gast, der ihn begleitete. »Bitte bringen Sie mir einen Milchkaffee.«
    Sein Akzent ließ Allmen aufblicken.
    Der Mann war groß, hatte ein schmales Gesicht, schütteres, dunkelblondes, nach hinten gekämmtes Haar und tiefliegende Augen.
     
    3
     
    Bereits am zwölften Tag nach der Auftragserteilung hatte Allmen International Inquiries den Gesuchten also ausfindig gemacht.
    Eine Erfolgsmeldung, mit der Allmen gerne sofort bei seinem Auftraggeber aufgetrumpft hätte. Aber er musste sich noch ein wenig gedulden. Natürlich wollte er sich erst mit Carlos absprechen.
    Allmen zog Hose und Sweatshirt aus und ging ins Wasser. Er schwamm eine Weile, bis er das Gefühl hatte, er könne nun zu seinem Korb zurückgehen und dabei Sokolow beobachten, ohne den Eindruck zu erwecken, er sei einzig deswegen ins Wasser gegangen.
    Der Russe saß mit angezogenen Beinen quer in seinem Strandkorb. Er hatte einen kleinen Laptop auf den Knien und tippte. Als Allmen an ihm vorbeiging, sah er kurz auf und konzentrierte sich sofort wieder auf seinen Bildschirm.
    Allmen rieb sich die Haare trocken und schielte dabei unter dem Frottiertuch hervor. Sokolow war nicht zum Baden gekleidet. Seiner Haut sah man nicht an, dass er schon über einen Monat in einem Seebad

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