Allmen und der rosa Diamant
er den Kontakt zum Boden verlor, begann er zu schwimmen. Und erst als er den äußersten Punkt des Landestegs hinter sich gelassen hatte, wendete er.
Er sah den Strand, die Körbe, die Schirme und die schneeweißen Hotelpaläste.
Irgendwo dort war der Mann, den er suchte.
Zweiter Teil
1
Am nächsten Tag war das Wetter noch schlechter. Allmen hatte nach alter Gewohnheit um sieben Uhr einen Tee ans Bett bestellt und vom Zimmerkellner den Ratschlag bekommen, noch lange liegen zu bleiben.
Zwei Stunden später wurde er von Regenböen geweckt, die gegen die Fensterfront prasselten.
Die Schwalben, die sonst unentwegt für ihre Brut Versorgungsflüge flogen, warteten jetzt aufgeplustert vor den Nestern der nahen Schwalbentürme auf das Nachlassen des Regens.
Am Abend zuvor hatte sich Allmen früh sein Abendessen aufs Zimmer bestellt. Danach war er durch die Hotelanlage geschlendert und hatte dabei unauffällig die verschiedenen Restaurants, die Lobby, den Rauchsalon, die Bibliothek und die Bar abgesucht. Er war niemandem begegnet, der Sokolow ähnlich sah. War er inzwischen abgereist?
Nach seinem Rundgang telefonierte er mit Carlos und bat ihn, im Hotel anzurufen und Sokolow zu verlangen. Kurz darauf rief Carlos zurück mit der Auskunft, Herr Sokolow sei außer Haus und werde erst morgen wieder erwartet.
Allmen war beruhigt zu Bett gegangen und hatte wunderbar geschlafen. Nach dem Early Morning Tea hatte er sich das Frühstück aufs Zimmer bestellt: Milchkaffee, Croissants, Butter und Honig, Rührei mit Schinken und etwas geräucherten Aal. Eine nahrhafte Mahlzeit. Er hatte vor, es später den Unentwegten gleichzutun, die er unten am Strand trotz der Witterung in die Brandung springen sah.
Um zehn Uhr rief er Carlos an. Allmen wusste, dass er heute Vormittagsdienst hatte und um diese Zeit sein Handy einschaltete. Denn um zehn Uhr machte er seine Pause. Wie jeder Mensch spanischer Sprache, wo immer auf der Welt.
Carlos war »sin novedad, gracias a Dios«. Eine Redensart aus seiner Heimat Guatemala, wo Neuigkeiten in der Regel nichts Gutes bedeuten. Ohne Neuigkeiten, Gott sei Dank.
Von Montgomery hatte Carlos nichts gehört, was Allmen hoffen ließ, dass dieser den zweiten Vorschuss geschluckt hatte. Geld war allerdings noch keines auf dem Konto eingetroffen. Carlos würde in der Mittagspause wieder den Kontostand von Allmen International prüfen, versicherte er ihm.
Kurz nach dem Anruf ließ der Regen nach. Allmen packte die Strandtasche, eine geflochtene, mit Kunststoff gefütterte Einkaufstasche mit dem Hotelemblem. Er zog eine Badehose an und darüber ein paar verwaschene Chinos. In einem Sweatshirt mit dem Charterhouse-Emblem und seiner geliebten alten Barbour-Windjacke, die Carlos ihm vor der Abreise frisch eingewachst hatte, verließ er seine Suite.
Auf dem Gang begegnete er der Gouvernante. Es war eine großgewachsene knochige Frau Mitte vierzig. »Schmierig, heute«, sagte sie.
Allmen verstand nicht.
»Es regnet aus allen vier Himmelsrichtungen«, erklärte sie.
»Ach, und dazu sagt man schmierig?«
»Ich sag dem so.«
Gouvernanten waren nach Allmens Hotelerfahrung fast so wichtig wie Concierges und Maitres d’Hötel. Wer sich mit ihnen gut stellte, der hatte stets ein aufgeräumtes Zimmer, dem wurden kleine Sonderwünsche erfüllt, dessen Wäsche kam schnell aus der Wäscherei, dessen Anzüge waren gebürstet und aufgebügelt, dessen Kleenex aufgefüllt und dessen Bademantel täglich frisch. Allmen erkundigte sich nach ihrem Namen, gab ihr hundert Euro Trinkgeld und wünschte ihr einen nicht allzu schmierigen Tag.
Frau Schmidt-Gerold hieß sie. Er merkte sich den Namen.
Das Gittertor zum Strand war verschlossen. Erst als der unterbeschäftigte Strandwärter herbeieilte, begriff Allmen, dass man es mit der Zimmerkarte öffnete.
Er ließ sich einen Strandkorb herrichten, machte es sich bequem, starrte auf den Strand und schaute den Möwen zu.
Lange verharrten sie reglos. Urplötzlich sammelten sie sich kreischend, flogen undurchschaubare Figuren und ließen sich nieder, um wieder reglos zu verharren.
Oder sie trippelten am Rande der Brandung und warteten auf essbares Strandgut im zurückfließenden Wasser.
In der Ferne waren drei Containerschiffe zu erkennen. Etwas näher ein Trawler. Vom Strand stieß der kleine Katamaran der hoteleigenen Segelschule ab, an Bord ein paar Kinder in riesigen, leuchtfarbenen Schwimmwesten.
Aus der grauen Wolkenschicht vor dem hellgrauen
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