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Allwissend

Allwissend

Titel: Allwissend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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seine Unterstützung irgendeiner Sache zum Ausdruck zu bringen. (Dance musste unwillkürlich an ihre Kinder denken, die sich dermaßen viele bunte Bänder um die Handgelenke wickelten, dass sie nie sicher sein konnte, welches die neuesten Solidaritätsbekundungen waren.) In seiner Jeans und dem schwarzen Polohemd sah Boling recht gut aus - auf zurückhaltende Rundfunkmoderatoren-weise. Seine braunen Augen wirkten ruhig, und er schien gern zu lächeln.
    Dance war überzeugt, er würde jede Studentin rumkriegen, auf die er es abgesehen hatte.
    »Sind Sie schon jemals in den Räumen einer Strafverfolgungsbehörde gewesen?«, fragte sie.
    »Ja, sicher«, sagte er, räusperte sich und ließ seltsame kinesische Reaktionen erkennen. Dann lächelte er. »Aber die Anklage wurde fallen gelassen. Ich meine, was konnten die schon groß tun, nachdem Jimmy Hoffas Leiche nie aufgetaucht ist?«
    Sie konnte nicht anders, als zu lachen. Oh, ihr armen Studentinnen. Nehmt euch in Acht.
    »Ich dachte, Sie beraten die Polizei.«
    »Ich biete meine Hilfe an, wenn ich Vorträge bei Behörden und Sicherheitsfirmen halte. Aber es hat mich noch niemand beim Wort genommen. Bis jetzt. Das hier ist meine Jungfernfahrt. Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu enttäuschen.«
    Sie erreichten Kathryns Büro und nahmen zu beiden Seiten des verschrammten Beistelltisches Platz.
    »Ich bin Ihnen gern auf jede mir mögliche Weise behilflich«, sagte Boling, »aber ich weiß noch nicht, was genau Sie eigentlich von mir erwarten.« Ein Sonnenstrahl fiel quer über seine Mokassins. Boling sah hin und bemerkte, dass eine seiner Socken schwarz war und die andere dunkelblau. Er lachte, ohne dabei verlegen zu wirken. In früheren Zeiten hätte Dance aus den beiden verschiedenen Socken gefolgert, dass er Single war; heutzutage jedoch, da häufig beide Partner berufstätig waren, konnte ein derartiger Lapsus nicht mehr als zulässiger Beweis herhalten. Der Mann trug jedenfalls keinen Ehering.
    »Ich kenne mich mit Hard- und Software aus, aber für komplexere technische Fragen habe ich vermutlich längst das zulässige Höchstalter überschritten, und Hindi spreche ich auch nicht.«
    Er erzählte ihr, er habe an der Stanford University einen Abschluss in Literaturwissenschaft und Ingenieurwesen erworben, was eine zugegebenermaßen merkwürdige Kombination sei. Danach habe er eine Weile »in der Weltgeschichte herumgegammelt« und sei schließlich im Silicon Valley gelandet, um für eine der großen Computerfirmen als Systementwickler zu arbeiten.
    »Eine aufregende Zeit«, sagte er. Doch letztlich, so fügte er hinzu, habe die allgegenwärtige Gier ihn abgestoßen. »Es herrschte Goldgräberstimmung. Jeder versuchte, möglichst schnell reich zu werden, indem er andere Leute davon überzeugte, sie hätten genau die Bedürfnisse, die sich durch Computer befriedigen ließen. Ich dachte, vielleicht sollte man die Angelegenheit von einer anderen Warte aus betrachten, nämlich herausfinden, welche Bedürfnisse die Leute tatsächlich hatten, und sich dann fragen, auf welche Weise Computer ihnen von Nutzen sein könnten.« Er neigte den Kopf. »Aber das wollte niemand hören. Also machte ich einen Teil meiner Aktien zu Geld, kündigte und gammelte wieder eine Zeit lang herum. Ich kam nach Santa Cruz, lernte jemanden kennen, beschloss zu bleiben und versuchte mich als Dozent. Es gefiel mir. Das liegt inzwischen fast zehn Jahre zurück. Ich bin immer noch dort.«
    Dance erzählte ihm, sie habe zunächst als Reporterin gearbeitet und sei dann wieder aufs College gegangen - an dieselbe Universität, an der er lehrte -, um Kommunikationswissenschaft und Psychologie zu studieren. Ihr und sein Aufenthalt dort mussten sich für kurze Zeit überschnitten haben, aber sie hatten keine gemeinsamen Bekannten.
    Boling hielt mehrere Seminare ab, darunter eines über Science-Fiction-Literatur und eines namens »Computer und Gesellschaft«. Für die höheren Semester bot er einige - wie er sagte - langweilige Technikkurse an. »Halb Mathe, halb Elektrotechnik.« Außerdem beriet er Firmen.
    Dance hatte mit Leuten der unterschiedlichsten Berufsgruppen zu tun. Die meisten strahlten deutliche Stresssignale aus, sobald sie von ihrer Arbeit berichteten, was entweder auf Angst vor den großen Anforderungen schließen ließ oder, wesentlich häufiger, auf Depressionen deswegen - genau wie bei Boling, als er von seiner Zeit im Silicon Valley erzählt hatte. Im Moment jedoch, während er von seiner

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