Allwissend
den Motor gar nicht ausgeschaltet.
»Mom«, sagte Maggie und schluchzte dabei herzzerreißend. »Was geschieht jetzt mit Oma?«
Dance würde ihren Kindern nichts vormachen; sie hatte gelernt, dass es letztlich immer besser war, Leid und Ängste offen anzusprechen, anstatt sie zu leugnen oder ihnen auszuweichen. Aber sie musste sich zusammenreißen, um nicht panisch zu klingen. »Eure Großmutter wird zu einem Richter gebracht. Der wird ihr Fragen stellen, und ich hoffe, sie darf danach bald nach Hause. Dann finden wir heraus, was passiert ist. Im Moment wissen wir es noch nicht.«
Sie würde die Kinder zu ihrer besten Freundin bringen, Martine Christensen, mit der sie ihre Musikseite im Internet betrieb.
»Ich mag diesen Mann nicht«, sagte Wes.
»Wen?«
»Mr. Harper.«
»Ich mag ihn auch nicht«, sagte Dance. »Ich möchte zum Gericht mitkommen«, sagte Maggie. »Nein, Mags. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.« Dance wandte sich zu ihren Kindern um und lächelte beruhigend.
Beim Anblick der blassen, verzweifelten Mienen wurde sie nur noch wütender auf Robert Harper.
Dance stöpselte die Freisprecheinrichtung des Telefons ein, überlegte kurz und rief dann den besten Strafverteidiger an, der ihr einfiel. George Sheedy hatte einmal vier Stunden lang versucht, Dance im Zeugenstand in Misskredit zu bringen. Es wäre ihm beinahe gelungen, einen Freispruch für einen Bandenchef aus Salmas zu erwirken, der eindeutig schuldig war. Aber die Guten hatten gewonnen, und der Verbrecher war lebenslang in den Knast gewandert. Nach der Verhandlung war Sheedy zu Dance gekommen, um ihr die Hand zu schütteln und ihr zu ihrer erstklassigen Aussage zu gratulieren. Und auch sie hatte eingeräumt, wie sehr sie von seinem Können beeindruckt gewesen war.
Während sie nun zu Sheedy durchgestellt wurde, fiel ihr auf, dass die Fernsehteams das Geschehen immer noch aufzeichneten. Alle Kameras waren auf den Wagen gerichtet, in dem ihre Mutter in Handschellen saß. Sie sahen wie Rebellen aus, die mit ihren Raketenwerfern auf umzingelte Soldaten feuerten.
Nachdem der vermeintliche Eindringling im Garten sich nicht als der Yeti herausgestellt hatte, hatte Kelley Morgan sich beruhigt und widmete sich nun ihren Haaren.
Die Lockenwickler lagen eigentlich immer in Reichweite.
Nichts auf der Welt war so frustrierend wie ihr Haar. Nur ein wenig Feuchtigkeit, und alles kräuselte sich.
In vierzig Minuten wollte sie sich mit Juanita, Trey und Tony an der Alvarado Street treffen, und die waren untereinander so eng befreundet, dass sie sie fallen lassen würden, falls sie mehr als zehn Minuten zu spät kam. Sie hatte in Bris Forum bei OurWorld an der Diskussion über Tammy Foster teilgenommen und darüber völlig die Zeit vergessen.
Dann hatte Kelley zufällig in den Spiegel geschaut und erkannt, dass die feuchte Luft sie in diese abartige Kreatur verwandelt hatte. Also loggte sie sich aus und bekämpfte das braune Gewirr auf ihrem Kopf.
Vor einer Weile hatte jemand mal in einem Blog geschrieben - natürlich anonym:
> Kelley Morgan... was ist eigentlich mit ihren haaren los?????? Sie sieht aus wie ein pilz. Ich mag normalerweise keine kahl geschorenen mädchen, aber SIE sollte diesen look definitiv mal ausprobieren. LOL. Ich kapier nicht, wieso sie das nicht rafft.
Kelley hatte schluchzend dagesessen, wie gelähmt von den furchtbaren Worten, die wie Rasiermesser in ihre Seele schnitten.
Dieses Posting war der Grund gewesen, aus dem sie Tammy bei OurWorld verteidigt und AnonGurl in Grund und Boden gestampft hatte (was ihr auch prächtig gelungen war).
Sogar jetzt, beim Gedanken an den grausamen Beitrag über ihr Haar, bebte sie vor Scham. Und Wut. Es spielte keine Rolle, dass Jamie sagte, er liebe alles an ihr. Das Posting hatte sie zutiefst getroffen und hinsichtlich ihrer Haare überempfindlich werden lassen. Und es hatte sie zahllose Stunden gekostet. Seit diesem 4. April war sie kein einziges Mal vor die Tür gegangen, ohne ihre Haare zuvor in Form zu zwingen.
Okay, mach dich an die Arbeit, Mädchen.
Sie stand vom Schreibtisch auf, ging zu ihrer Frisierkommode und stöpselte die beheizten Wickler ein. Von der Hitze bekam sie zwar Spliss, aber wenigstens wurden die schlimmsten der abtrünnigen Locken gebändigt.
Sie schaltete die Lampe über dem Spiegel ein, setzte sich, streifte die Bluse ab, warf sie zu Boden und zog über ihrem BH stattdessen zwei Tank Tops an. Sie mochte den Anblick der drei Träger
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