Alpendoener
noch vier Tage gebraucht hatte zu Fuß zum Lazarus. Vier Tage
verfaulen in der Hitze, dann kommt der Jesus und übergibt der Familie einen
Zombie. Zuerst war da sicher ein großes Hallo, weil die Nachbarn den Lazarus ja
tot gesehen haben und plötzlich spaziert er wieder aus seinem Grab raus, dann
muss es ihnen aber doch unheimlich geworden sein. Ist das Verfaulte wieder
zusammen geheilt? Geht so was?, dachte Birne. Ging so was, weil Jesus seine
Finger dran gehabt hatte? Wie wär das, wenn die
Zulauf wieder käme plötzlich? Zumindest eigenartig. Mit der wollte man nicht
mehr schnapseln und erst recht nicht mehr Brotzeit essen. Jetzt, nachdem sie
tot war, war sie wohl tot. Bruno war nicht da. Der Enkel war da und seine
Freundin Simone, ein älterer Herr mit einer Frau, ebenfalls in Schwarz, könnte
der Sohn sein, der Vater vom Enkel. Der Rest der Gemeinde war auch schon alt,
am Rand des Grabs, die wollten noch was fürs Seelenheil tun. Das Evangelium
erzählte eine Zombie-Geschichte, damit den Zuhörern klar wurde, dass die Toten
bleiben sollten, wo sie waren, weil Zombies stinken und blöd sind in der Birne.
Lazarus hatte eine Schwester, die Martha, die heulte am Anfang am lautesten, auf
die hörte Jesus. Und die Martha, die hatte was übrig für diesen Jesus, der ihr
den Bruder wieder lebendig machte. Vielleicht brauchte sie ihren Bruder fürs
Geschäft. Niemand verliert gern den Bruder, der Bruder war weg und auf einmal
wieder da, gerade als man sich damit abgefunden hatte, dass er weg war. Damit
mussten die zurecht kommen damals, war nicht einfach, war komisch sicher. Und
anstrengend, ein Leben zu führen mit einer komischen Beziehung, das wusste
Birne. Die Martha hatte sich einen Stress ins Haus geheult, die war froh, wie
er dann endgültig weg war. Kann sein, dass der Jesus sich gewundert hat, dass
sie beim zweiten Mal nicht wieder so traurig gewesen war. Er hätte den Lazarus
womöglich noch mal geholt, diesmal endgültig, und man könnte ihn womöglich
heute noch bestaunen, den Lazarus, der nicht mehr starb, nachdem Jesus ihn zwei
Mal geholt hatte. Man könnte ihn fragen, wie Jesus war als Mensch und nach
seinem größten Wunsch könnte man ihn fragen und dann würde er sagen, dass er
gern den Sisyphos kennenlernen würde, wenn es ihn
gäbe. Lazarus fault bis auf den heutigen Tag, aber er wird nie ganz verfaulen,
er wird nur immer mehr stinken und in ein Haus lässt ihn schon tausend Jahre
keiner mehr rein. Er vergisst auch alles, weil sein Hirn wegfault und der
normale Alzheimer noch dazu kommt. Er hat keine Ahnung, wer dieser Jesus ist,
nach dem sie ihn dauernd fragen.
Davon redete der Pfarrer nicht in seiner Predigt. Es war auch
keine rechte Trauer vorhanden bei dieser Trauerfeier. Die zu Beerdigende war
alt gewesen, was wollte man noch erwarten. Der Pfarrer sprach vom Krieg, den
die Alten noch erleben durften, dass er ihnen einen ganz anderen Blick auf das
Wesentliche geschenkt habe, für den der heutige Christ auch dankbar sein könne,
den ihnen aber das Wort Gottes auch schenken könne, für den es demnach auch
keinen Krieg mehr brauche. Der Krieg tobe trotzdem, er habe das Land nicht
verlassen. Die arme Frau Zulauf sei sein Opfer geworden. Man müsse weitere
Opfer verhindern, aber dazu fehle der Bevölkerung der Mut und auch den
Behörden. Der Pfarrer ist ein Nazi, dachte sich Birne. Die Familie Kemal war
nicht da, wären sie da gewesen, hätte er mit ihr den Pfarrer als Nazi
beschimpft, das hätte er noch für sie gemacht.
Die Freundin vom Enkel schaute sich um, weil die
Predigt sie langweilte und nicht aufwühlte wie Birne. Sie schaute sich die
Bilder in der Kirche an und die anderen Leute. Sie streifte Birne kurz und
blickte dann erschrocken zu ihm zurück. Große Augen. Sie konnte es nicht
fassen, diese Dreistigkeit. Diese laschen Behörden. Gleich würde sie schreien.
Sie schrie nicht. Sie drehte sich wieder um.
Birne verschwand.
Was hatte er jetzt davon gehabt? Halber Gottesdienst ist
geteilter Gottesdienst. Seine Idee war blöd gewesen. Er hatte sich wichtiger gemacht,
als er war und sein wollte. Er rannte heim, zog sich seinen Jogginganzug an und
warf sich in sein Bett.
Birne nickte ein; er wusste nicht, ob er lang
oder kurz geschlafen hatte, als ihn das Klingeln seiner Tür weckte. Er
überlegte, ob er es ignorieren sollte, denn er erwartete niemanden und schon
gar nichts Gutes. Im dümmsten Fall waren es Kemals, die ihren
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