Alptraum in Atlantis
Schultern.
Sie nickte nur.
Auch Haro war entsetzt. Nur durfte er seine Gefühle nicht zeigen. Ein Krieger oder Soldat musste immer die Kontrolle über sich haben. Er musste seinen Schmerz zügeln, auch wenn er innerlich fast daran verbrannte.
Brandgeruch wehte ihnen entgegen. Der Wind trieb auch feine und feinste Ascheteilchen mit, die als Regen die beiden einsamen Wanderer umwallten. Sie blieben auf der Haut kleben. Weder Kara noch Haro machten sich die Mühe, sie abzuwischen.
Eine gewaltige Mauer umgab die Stadt. Sie hatte immer als Schutzwall gehalten, doch nun war sie zerstört. In einer ungeheuren Hitze einfach verbrannt und geschmolzen.
»Großer Atlan«, flüsterte das Mädchen und blieb stehen.
Auch Haro verhielt im Schritt.
Beide starrten mit ausdruckslosen Augen auf das gewaltige Chaos. Die verbrannte und eingestürzte Mauer verwehrte ihnen den Blick in die Stadt nicht mehr.
Aber war es noch eine Stadt?
Wo standen dann die Häuser? Wo die prächtigen Bauten, an deren Errichtung Karas Vater beteiligt war? Es gab sie nicht mehr. Nur noch Schutt und Asche. Hier und da ragten ein paar Fragmente aus den Trümmer hervor, das war alles.
Sie merkten beide, wie der Boden unter ihnen arbeitete, wie er zitterte und vibrierte.
Der Untergang des Kontinents war nicht mehr aufzuhalten. Er ging weiter – bis zum bitteren Ende…
»Komm«, sagte Haro und schob das Mädchen vor.
Kara nickte, während die Tränen aus ihren Augen rannen, als sie das Elend sah.
Die Menschen hatten sich wirklich bis zum letzten Atemzug verteidigt, aber es hatte nichts genutzt. Sie sahen die Toten, die in den Trümmern lagen und dem schrecklichen Angriff somit ihren Tribut gezollt hatten.
Viele waren auch überhaupt nicht mehr zu erkennen oder vorhanden.
Das Feuer hatte zu schlimm gewütet.
Aber nicht alle hatten ihr Leben verloren. Es gab noch welche, die die Katastrophe überstanden hatten. Kara und Haro wurden auf makabere Weise daran erinnert.
Sie hatten die Stadt noch nicht erreicht, als sie das Klagelied hörten, das über die zerstörten Häuser und Gebäude schwang. Jemand sang es mit von Traurigkeit erfüllter Stimme. So schlimm und so ernst, dass Kara sich die Ohren zuhielt.
Es war das Lied vom Tod, vom Untergang, von der Vernichtung.
Atlantis‘ Sterbelied.
Selbst Haro, dem kampferprobten Krieger, rann ein Schauer über den Rücken. Beide konnten die Person nicht sehen, die das Klagelied angestimmt hatte, aber sie musste irgendwo zwischen den Ruinen der Stadt sitzen.
Der starke Brandgeruch ließ ihre Augen tränen. Die umherfliegende Asche war nicht wann, und dicke Rauchschwaden trieben wie Leichentücher über die sterbende Stadt.
Irgendwo hörten sie das Stöhnen und Wimmern der Verletzten. Sie konnten nicht helfen, denn sie wussten nicht, wo sie anfangen sollten.
Der Schwarze Tod war nicht zu sehen. Sein Drache hatte ihn weitergetragen, hinaus auf das Land, weit in die Ferne, um alles Leben zu vernichten.
Kara und Haro stiegen über die Trümmer und kletterten durch Ruinen.
Da War kein Haus mehr stehengeblieben, die Stadt glich einer Oase des Schreckens.
Irgendwann erreichten die auch den Marktplatz. Um den Brunnen herum lagen die toten Krieger. Einige waren von den herabstürzenden Steinen erschlagen worden, andere hatte das Feuer getötet.
Der Brunnen gab kein Wasser mehr. Steine und Schutt waren in ihn gefallen. Auch die Blumen hatte die Glut vernichtet. Manche Steine waren unter der enormen Hitzeeinwirkung zu schimmernden Kristallen zusammengeschmolzen, und die den Marktplatz umgebenden Häuser bildeten ein einziges Trümmermeer.
Kara blieb stehen und drehte sich um.
Sie wusste genau, wo ihr Vaterhaus gestanden hatte. Das gab es nicht mehr.
Es war ineinandergefallen wie ein Kartenhaus. Nur noch zwei Mauern standen. Auch von ihnen war die Hälfte auseinandergebrochen.
Fragmente und Stücke ragten über die Trümmer hinaus. Die Säulen waren zersplittert, als hätte die Faust eines Riesen gegen sie geschlagen.
»Vater«, murmelte das Mädchen, und seine Lippen zitterten. Kara spürte Haros Hand.
»Lass uns weitergehen«, sagte er. »Vielleicht werden wir deinen Vater finden. Der fremde Mann hat davon geredet, dass er in den Keller wollte. Vielleicht können wir ihn dort sehen und auch sprechen.«
»Du machst mir Mut.«
»Ich meinte es auch so, wie ich es sagte.«
»Dann glaubst du, dass Vater noch lebt?«
»Ja, Kara, daran glaube ich. Wir müssen ihn nur finden. Und wir dürfen keine Zeit
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