Alptraumland
Ashton Manor den Buchbestand mit verbissener Beharrlichkeit, aber vergeblich, nach entsprechenden Sachbüchern durchstöbert, ja durchwühlt hatte, nochmals von Perkins nach Glasgow chauffieren. Ich gab ihm für den Tag frei und wies ihn an, er solle mich am Abend zu einer bestimmten Stunde vor der Universitätsbibliothek abholen. Dort hoffte ich, obwohl der bloße Anblick von Büchern mich inzwischen zu einem Zähneknirschen der Verbitterung trieb, genügend Fachliteratur über Träume und ihre Deutung zu finden.
Zwar machte mir eine Dame von der Bürokratie anfangs Schwierigkeiten, da ich ihr für einen Studenten etwas alt erschien, aber als ich den Ausweis des amerikanischen Schriftstellerverbandes zückte und bemerkte, daß ich auf der Suche nach wichtiger Sekundärliteratur sei, fühlte sie sich von meinem Besuch sehr geehrt. In der Abteilung Psychiatrie fand ich ein Dutzend einschlägiger Bücher, doch ihr gestelzter wissenschaftlicher Sprachduktus brachte mich schier zur Verzweiflung. Ich verstand kaum ein Wort, und nach zwei Stunden gab ich die Recherchen auf. Mir wurde klar, daß es keinen Sinn hatte, ohne wissenschaftliche Vorbildung Selbstanalysen zu versuchen.
Mein nächster Weg führte mich in eine verwinkelte Gasse und zu einer esoterischen Buchhandlung, deren Inhaber mir als das unsympathischste Exemplar der Spezies Mensch erschien, dem ich je begegnet war; es handelte sich um einen knochendürren Kerl von etwa fünfzig Jahren. Er hatte schütteres, angegrautes Haar, eine hängende Unterlippe, eiskalte Hände und wirkte insgesamt auf mich wie ein Reptil. Da er aufgrund eines Sehfehlers eine dicke Brille tragen mußte, hinter deren Gläsern seine blaßblauen Augen fast doppelt so groß aussahen, kam er mir vor wie der geborene Sektierer.
»Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?« fragte er geschäftig und eilte an den Regalen entlang.
»Traumdeutung«, sagte ich verlegen. »Ich war in der Universitätsbibliothek, aber dort …«
Er lächelte von oben herab, ganz in der typischen Arroganz des Besserwissers, für den die Vertreter der Wissenschaft reine Ignoranten sind. Ich verwünschte mich, daß ich den Laden überhaupt betreten hatte; wahrscheinlich würde dieser Knabe mich in ein paar Minuten, wenn er mich abgeschätzt hatte, mit den wärmsten Worten einladen, an den wöchentlich stattfindenden Versammlungen der Freunde der Marsmenschen teilzunehmen, als deren Erster Vorsitzender er vermutlich fungierte.
»Universitätsbibliothek …« murmelte er. »Ich verstehe, Sir … Sie sind also auf der Suche nach der Wahrheit, hm? Es wundert mich nicht, daß die Pfuscher, die sich hochnäsig als Wissenschaftler bezeichnen, doch im Grunde nichts anderes sind als dumme Ignoranten, einen Menschen, der nach der Wahrheit sucht, nicht weiterhelfen können. Weil sie nicht einmal in der Lage sind, die Wahrheit auch nur ansatzweise zu sehen …«
Er reichte mir eine zerfledderte Schwarte. »Hier, da haben Sie ein Standardwerk, das ich Ihnen empfehlen kann.«
Der Titel lautete Träume und ihre tiefere Bedeutung. Ein Exkurs in den Inneren Kosmos. Der Verfasser war ein gewisser T.M. Rhys-Davies.
»Das Buch enthält tausend Träume und ihre Deutung, Sir«, sagte der Buchhändler. »Ich zweifle nicht daran, daß Sie auch Ihr Problem darin behandelt finden.«
Ich kaufte es. Es kostete fünf Pfund, was angesichts des lumpigen Einbandes ein ziemlicher Happen war, aber Veröffentlichungen dieser Art müssen wohl schon deswegen teuer sein, weil sich nur wenige Menschen für sie interessieren. Obwohl ich ihm nicht die Qualität einer echten wissenschaftlichen Veröffentlichung beimaß, hoffte ich, wenigstens ein paar geistige Anregungen darin aufzuspüren.
Ich setzte mich in ein Lokal, bestellte eine Mahlzeit und blätterte in dem Buch. »Träume sind Spiegelungen der Vergangenheit«, stand da. »Sie beherrschen unsere Existenz, indem sie uns verunsichern und das Leben zur Hölle machen. Mit einem kleinen Führer durch die inneren Zonen des Geistes, durch die Ebenen, in der Psyche und Realität aufeinandertreffen, ist es jedem Menschen möglich, den Gefahren der Träume zu trotzen, indem er sie deutet und bannt.«
Das ganze Werk bestand aus derlei banalen Platitüden. Mr. Rhys-Davies, der Autor, gestand zudem ein, es unter dem Einfluß von Rauschdrogen verfaßt zu haben – um ›eine Traumsituation zu erzeugen‹, die es ihm ermöglicht habe, ›im Wachzustand zu erkennen, was man im Traum nicht niederschreiben kann.‹
Weitere Kostenlose Bücher