Alraunes Todeskuß
erschienen ihm jedoch weit, sehr weit entfernt, als wären sie der Tiefe des Alls entsprungen. Er wollte nachdenken, auch das klappte nicht. Sein Gehirn war blockiert, und auch die Musik klang plötzlich so leise.
Nichts war da, gar nichts…
»Wie heißt du?«
Die Frage riß ihn aus seiner Lethargie.
»Morton.« Die Antwort floß automatisch über seine Lippen, ohne daß er darüber nachgedacht hätte.
Die kleine Frau lächelte. »Und ich bin Alraune…«
Morton dachte über den Namen nach. So ungewöhnlich er klang, gehört hatte er diesen Begriff schon. Allerdings nicht in Verbindung mit einem Namen. Alraune war ein Gewächs, eine Wurzel, aus der man wohl Säfte gewann. Darüber hatte er mal in der Schule etwas gehört.
»Du darfst mich anfassen, Morton.« Der Fahrer schrak zusammen.
Anfassen, hatte sie gesagt! Warum und wieso sollte er sie anfassen? Er schüttelte den Kopf. »Doch, tu es!«
»Nein…«
»Ich bin nicht zerbrechlich.« Sie dokumentierte, was sie damit meinte und strich aufreizend über ihre nackten Brüste. »Da, siehst du es, Morton?«
Er sah es, und er sagte sich, daß er einen Traum erlebte. Alles, was man ihm präsentierte, durfte es einfach nicht geben. Das war einzig und allein verrückt. So etwas gehörte ins Reich der Fabel und der Märchen. Eine derartig kleine Frau gab es nicht. Wenigstens keine, die dazu noch reden konnte. Gut, man konnte sich vielleicht eine Puppe schnitzen, aber daß diese Puppe sprach, war nicht drin. Nein, so etwas existierte in einem Roman oder Film.
»Willst du nicht?« Die Frage riß ihn aus seinen Gedanken.
Er zwinkerte. Dann bewegte er die Hände. Mit den Hachen strich er über den blauen Jeansstoff der Hosenbeine. Seine Augen verdrehten sich, als er aus dem Fenster schielte.
Draußen war die normale Welt, da lief alles ab wie immer. Es gab diese Wagenschlange, er steckte in einem Stau, das war alles nichts Ungewöhnliches, und nun hatte er Besuch bekommen. Seine Stirn war heiß geworden, da brauchte er gar nicht erst zu fühlen, und er spürte auch das Zucken der dünnen Haut an seinen Schläfen. Alles war so normal und gleichzeitig furchtbar.
»Du magst mich nicht, wie?«
Morton stöhnte auf. Er schüttelte den Kopf. Nur mühsam brachte er die nächsten Worte hervor. »Es gibt dich nicht!« keuchte er. »Es gibt dich nicht, verdammt. Geh weg! Geh endlich weg! Du sollst verschwinden, verdammt!«
Die Alraune lachte nur…
»Geh doch!«
»Nimm mich. Du darfst mich nicht nur anfassen, du darfst mich auch streicheln.«
»Nein…!« Es war kein Sprechen mehr, das Wort war schon geröhrt worden.
»Nein, verdammt…«
»Aber ich will dich!«
»Hau ab! Geh endlich! Verschwinde! Sieh zu, daß du wegkommst!« Er flüsterte die Worte so schnell hintereinander, als sollte das eine das andere einholen.
Sie lachte nur. Hell, perlend, gleichzeitig auch wissend, und Morton gefiel dieses Lachen überhaupt nicht. Er hatte das Gefühl, in einer Klemme zu sitzen, nichts war mehr wie sonst, jemand hatte ihn aus dem normalen Leben herausgerissen, wobei er das normale Leben durchaus sehen konnte, da brauchte er nur durch das Fenster zu schauen.
Er wollte in dieses Leben hineinsteigen. Die Tür aufhebeln, sich nach draußen schwingen und aus diesem Alptraum entfliehen. Das war die einzige Chance.
Ich tue es! Ich tue es! Ich…
Seine Hand hatte sich noch nicht bewegt, als die Alraune handelte. Sie hatte seine Gedanken erraten. Kurz nur sackte sie in die Knie, um sich den nötigen Schwung zu holen, dann katapultierte sie sich in die Höhe und schnellte direkt auf seinen Hals zu.
Mit einer lächerlich anmutenden Bewegung schüttelte Morton noch den Kopf, was überhaupt nicht reichte, denn die zupackenden Hände der Alraune waren schneller.
Sie krallten sich im Oberteil zwischen den beiden Trägern des Overalls fest. Das kleine Wesen hing dort wie ein Turner am Reck, es federte noch nach, und Morton hatte den Blick gesenkt, um das Gesicht aus kurzer Entfernung zu sehen.
Es war glatt, ohne Poren. Viel zu glatt für ein menschliches Gesicht, und er dachte wieder an den Begriff Alraune, den er mit einer Pflanze in Zusammenhang brachte.
Zwei dunkle Augen funkelten ihn an. Der Mund lächelte oder grinste, und Morton ärgerte sich über seine eigene Sprachlosigkeit. Er konnte dem Blick dieser schrecklichen Augen nicht entgehen, sein Vorsatz, den Wagen zu verlassen, war dahin geschmolzen.
»Warum wolltest du mich nicht, Morton? Bin ich dir nicht schön genug, mein
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