Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
nicht bewegen. Dieser tückische Fluss hatte ihm alle Kräfte geraubt.
Um zehn Uhr kehrte der Angler zu seinem Klappstuhl und zu seinem Hund zurück. Mehrmals ging er zu dem alten Wohnwagen und verschwand aus Marcels Blickfeld. Dann wühlte der Angler in der Kühlbox undzog ein paar alte Plastiktüten hervor. Auf den Deckel der Kühlbox legte er Brot, Butter und noch etwas, das in Papier vom Metzger eingewickelt war. Es sah ganz nach Leberpastete aus. Plötzlich stiegen Marcel Küchendüfte in die Nase, und er bekam großen Hunger. Er öffnete eine Dose Makrelen in Weißwein, die er mit dem Schweizer Messer aß. Während des Essens hörte er, wie jemand einen Pfiff ausstieß. Der Angler schaute ihn an und zeigte ihm eine Flasche Rotwein.
»Hm?«
Das brauchte er Marcel nicht zweimal zu sagen. Es war schon komisch, dass er erst jetzt begriff, wie wichtig Gesellschaft für ihn war.
»Ah, da lasse ich mich gerne überreden«, erwiderte er lächelnd.
Marcel durchquerte den Fluss mit dem Rucksack und achtete darauf, dass die Dose Makrelen in Weißwein nicht umkippte. Das Wasser war eiskalt. Er hatte das Gefühl, tausend Nadeln würden in seine Haut stechen, doch er war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
»Ihr Wein wird mich wieder aufmöbeln«, sagte er, als er das andere Ufer erreichte. »Ihre Loire hat mir ganz schön zugesetzt.«
»Bitte ....« Der Angler reichte ihm ein Glas.
Marcel bedankte sich und bereitete sich auf die angeregte Unterhaltung und eventuelle Fragen vor. Was machen Sie auf einer Sandbank? Sie wollen den Fluss hinunterfahren? Woher kommen Sie etc.? Doch der Angler sagte gar nichts, sondern schnitt nur mit dem Taschenmesser eine Scheibe Brot ab und gab sie ihm. Dannklappte er für seinen Gast einen alten, halb verrosteten Stuhl auseinander. Der Labrador betrachtete Marcel mit ruhigem Blick. Offenbar war er an Fremde gewöhnt. Oder er war zu alt, um zu knurren. Marcel bemühte sich mehrmals darum, ein Gespräch in Gang zubringen
»Und das Angeln hier? Beißen sie?«
Der Angler antwortete erst nach einer langen Pause. »Hechte, hm ... Flussbarsche ... Kommt drauf an. Im Moment läuft’s nicht so gut. Hm.«
»Hier sind Sie ungestört«, sagte Marcel. »Da haben Sie sich ein schönes Plätzchen ausgesucht.«
»Hm, ja.«
»Kommen Sie oft hierher?«
»Das entscheide nicht ich. Die Fische ...«
Der Angler hielt die Nase in den Wind und betrachtete den Himmel so lange, dass Marcel sich fragte, ob man sich auf etwas gefasst machen müsse. Schließlich kehrte der Angler auf die Erde zurück und kraulte den Kopf des Hundes.
»Und der Hund ... nicht wahr, mein Hund?«
Der Hund wandte langsam den Kopf.
»Nur keine Eile«, sagte der Angler. »Zum Wohl.«
Der leckere Duft der Fische, die auf einem kleinen Gaskocher neben dem Wohnwagen in einer Pfanne brutzelten, stieg Marcel in die Nase. Brot, Butter, gebratene Fische, Wein. Die beiden Männer setzten sich auf die Klappstühle. Marcel sagte »danke, köstlich« zu seinem Gastgeber, der nur kurz nickte. Das sollte wohl »gern geschehen, und jetzt schweigen wir« heißen, nahm Marcel an. Also schwieg er und tat es dem alten Hund gleich, derauf das Wasser der Loire blickte, das an ihnen vorüberfloss.
Wie schön sie war, die Loire. Allmählich kam die Sonne heraus. Sie wärmte Marcels schmerzende Glieder, und das Wasser begann zu glitzern. Hinter den Bäumen und der kleinen Steinmauer, die sie von der Straße trennte, fuhr ab und zu ein Auto vorbei. Und sonst gab es hier nur die Vögel, die Bäume und den Wind. Marcel spürte, dass seine Muskeln sich allmählich entspannten.
Plötzlich machte der Hund auf sich aufmerksam. Der Angler und der Hund schauten sich an, worauf der Angler sich hinunterbeugte, um in der Kühlbox etwas zu suchen. Marcel runzelte erstaunt die Stirn, als er sah, was der Angler aus der Box nahm. Es waren mit homöopathischen Globuli gefüllte Röhrchen. Der Angler nahm aus jedem Röhrchen drei winzige Kügelchen heraus, gab sie dem Hund und sagte: »Braver Hund.« Marcel betrachtete den Hund eine Weile, der auf den Kügelchen herumkaute, während er auf den Fluss schaute. Er hätte gerne gefragt, warum der Hund medizinische Behandlung brauchte, aber er traute sich nicht, den Angler zu stören, der genüsslich seinen Rotwein schlürfte.
»Meniskus. Noch Wein?«
Marcel fragte sich im ersten Moment, ob der Hund so hieß. Schließlich begriff er, dass es die Antwort auf die Frage war, die er nicht gestellt hatte. Er hielt
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