Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
denen Jacqueline mit ihren Kochkünsten glänzen wollte.
Eugene und Cindy waren wirklich kein Durchschnittspaar, sondern wie alle Gäste von Nane außergewöhnliche Menschen. Der fünfundfünfzigjährige Eugene hatte sich schon in zahlreichen Berufen ausprobiert, unter anderem als Journalist, Schlagzeuger in einer Rockband, Immobilienmakler und Gastwirt. In wilden Jugendzeiten hatte er sogar einmal Gedichte geschrieben. Jetzt betrieb er ein Literaturcafé in Greenwich Village. Cindy, seine zweite Frau, die aus Japan stammte, übersetzte englische Romane ins Japanische. Aber für Jacqueline waren es amerikanische Freunde, die sich für Literatur begeisterten. Jacqueline besuchte seit zehn Jahren Englischkurse und warseit ihrer Jugend von New York fasziniert. Daher fieberte sie der Begegnung im Stillen mit ungeheurer Ungeduld entgegen.
Sie stürzte sich mit Leib und Seele in die Aufgabe. Drei volle Tage lagen Jacquelines Bücher und ihre Korrespondenz unberührt auf dem Nachttisch, während sie durch die Straßen von Port-Joinville lief, um die Zutaten für ein perfektes Essen einzukaufen. Sie hatte vor, wenn sie den Tisch für die Freunde aus Amerika deckte, bei der Dekoration ländlichen Charme walten zu lassen. Es sollte eine Ode an die französische Eleganz sein, eine Dekoration voll raffinierter Schlichtheit und Leichtigkeit: alles in Weiß gehalten, altmodische Tischdecken, frische Produkte von der Insel, hübsches Porzellan und Wiesenblumen. Hinter Armindas Rücken suchte Jacqueline aus dem Geschirrschrank von Nane, der nach altem Holz roch, Geschirr, Kristall, Silberbesteck und gestickte Decken heraus. Das Ganze durfte natürlich auch nicht zu kitschig aussehen. Drei volle Tage lang machte Jacqueline sich in einem kleinen Heft Notizen, strich immer wieder etwas durch und erstellte neue Listen. Zuerst beschäftigte sie sich mit dem Menü. Es sollte leicht sein. Auch wenn Nane eventuell etwas anderes behauptet hätte, so wusste Jacqueline aus zuverlässiger Quelle, dass die Amerikaner auf ihre schlanke Linie und Kalorien achteten. Daher würde sie ein Gericht zaubern, das man fast als ihre Spezialität bezeichnen konnte: Zitronenhuhn mit Zucchini, einer leichten Sauce und Mohnkörnern, um das Ganze abzurunden. Als Vorspeise dachte sie zuerst an Pampelmusen mit Quinoa. Doch aus Angst, die Vorspeise aus Tofu undSojacreme könnte Nanes Zorn erwecken, entschied sie sich lieber für einen Salat aus Bio-Ochsenherztomaten mit Olivenöl, grobem Meersalz und Basilikum.
Die Auswahl des Desserts bereitete Jacqueline hingegen großes Kopfzerbrechen. Sie wollte damit vor allem Nane eine Freude machen und träumte von einer aus viel Schokolade bestehenden kleinen Sensation. In den unzähligen Kochbüchern auf den Regalen in der Küche der Villa Jolie Fleur fand Jacqueline jedoch nichts, was ihr zusagte. Die Rezepte waren alle hoffnungslos veraltet. Sie wollte zu diesem Anlass ein Dessert aus der modernen Küche servieren, das den feinen Törtchen aus einer Pariser Pâtisserie ähnelte. Jacqueline wusste genau, was ihr vorschwebte. Sie hatte es einmal auf dem Teller eines Gastes in einem Restaurant gesehen. Eine Mousse au Chocolat, die wie ein kleines Törtchen auf dem Teller stand.
Daher fuhr Jacqueline nach Port-Joinville und schaute sich dort in der Buchhandlung um. Sie blätterte in den neu erschienenen Kochbüchern und fand ein hübsch bebildertes, kleines Heft mit dem Titel Die köstlichsten Schokoladendesserts . Jede Seite, die sie aufschlug, und jedes herrliche Foto der exquisiten Desserts entlockte ihr ein amerikanisches Kompliment. Yummy! Superb! Delicious! Endlich fand Jacqueline das richtige Rezept. Scrumptious! Ja, so absolutely scrumptious , diese Mousse au Chocolat, die auf einem flachen Teller thronte, dieser ovale Turm mit den perfekten glatten Konturen, in dem bereits ein Silberlöffel steckte. Das war der Beweis für die Ungläubigen, dass es wirklich eine Mousse au Chocolat war. Dieses Schokoladendessert, das den Gesetzen der Schwerkrafttrotzte, schmeichelte dem Gaumen und erfreute das Auge. Doch es gab noch einen besonderen Clou, und das war ein Stiefmütterchen, mit dem die Mousse dekoriert war. Eine essbare Blume. In Frankreich aß man selbstverständlich Blumen. Didn’t you know? An acquired taste, for sure . Ja, dieses Dessert animierte dazu, über Paul Auster, John Irving und Cormac McCarthy zu sprechen und Freundschaften zu schließen. Während sie sich in Gedanken mit essbaren Stiefmütterchen
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