Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Gespräch nach Benin schulde.«
»Ach, jetzt mach doch nicht so einen Aufstand wegen der paar Euros. Du bist schon wie deine Mutter.«
»Nein, bin ich nicht, aber Gespräche nach Benin sind teuer. Das weiß ich zufällig.«
»Ja, ja. Dieses Benin, es brennt dir doch unter den Nägeln, mir zu sagen, was in Benin vor sich geht. Nun erzähl schon.«
»Nichts Besonderes ...«
»Umso besser. Die Menschen in Benin sind sicherlich froh darüber«, unterbrach Nane sie.
Jacqueline, die Nanes Ungeduld spürte, schaute kritisch auf die Schokoladensauce. Dann sah sie ihre Cousine wieder an und wühlte in der Handtasche. Sie zog einen großen Briefumschlag heraus und legte den Inhalt auf den Tisch: ein Stück kariertes Papier, auf dem etwas in Kinderschrift geschrieben stand. Das Foto eines Kindes in einer blauen Schuluniform war mit einer Büroklammer an das Blatt geheftet.
»Das ist Monette. Eines meiner Patenkinder in Benin. Sie ist sechs Jahre alt.«
Jacqueline erzählte Nane von der Organisation, die Patenschaften für Schüler dieser Schule in Benin vergab. Sie sprach über ihre Brieffreundschaft mit der Rektorin der Schule, Perpétue Glele. Dann über die Bücher, die sie ihnen schickte, über »Jacquelines Schrank« und die Kleinen, für die sie Patenschaften übernommen hatte: Oscar, Yewande, Armand, Marius, Bernadette, Adja, Yoannie, Wenceslas, Josué, Sylvaine, Issa, Solange, Chimène, Gildas, Prosper, Caleb und Monette.
Siebzehn. Nane erwiderte nichts und betrachtete dieses Kind aus Benin in dem orangeroten Licht auf dieser Terrasse, auf der es nach Glyzinien duftete.
»In deinen Augen ist es bestimmt verrückt, so viele Patenschaften zu übernehmen, aber ich mache das schon seit dreißig Jahren. Ich war vierundvierzig, als ich von der Organisation erfuhr. Es war damals eine schwere Zeit, als ich mich damit abfinden musste, keine Kinder zu bekommen.«
Jacqueline holte tief Luft.
»Wir hatten gerade Renée und Paul kennengelernt, die nach Erquy gezogen waren. Marcel und Paul wurden nach kurzer Zeit dicke Freunde. Du weißt ja, wie das ist. Die Männer bleiben gern unter sich und die Frauen ebenfalls. Ich sah Paul selten und verbrachte viel Zeit mit Renée und ihrem Jüngsten. Sie hatten vier Kinder, und drei davon standen bereits auf eigenen Beinen. Renée litt sehr darunter, als der Jüngste auszog. ›Sei froh, dass du keine Kinder hast. Dir bleibt viel Kummer erspart‹, sagte sie zu mir. Ich hätte mich gefreut, wenn meine Kinder auch ausgezogen wären, aber ich hatte gar keine bekommen.
Eines Tages hörte ich von dieser Organisation. Die Zeugnisse der Kleinen zu sehen half mir, meine Enttäuschung zu überwinden. Und im Laufe der Zeit wurden die Patenschaften immer wichtiger für mich. Ich hatte große Lust, einmal hinzufahren, um meine Patenkinder zu sehen. Aber eine allein reisende Frau, das schickte sich in unseren Kreisen nicht. Außerdem habe ich Marcel nie etwas davon erzählt. Niemand wusste etwas davon.«
Nane betrachtete eine Weile diese kleinen Köpfe am Ende der Welt, auf die das Licht der untergehenden Sonne fiel.
»Sie sind hübsch, deine Kleinen«, sagte sie schließlich.
Jetzt strahlte Jacqueline übers ganze Gesicht.
35
Ende Juli wurde es auf der Insel immer wärmer. Auf das Gewitter folgte eine neue Hitzewelle, und nachmittags war es draußen nirgendwo auszuhalten. In Port-Joinville wimmelte es von Touristen und Mietfahrrädern, und die Sonne schien von früh bis spät. In der Villa Jolie Fleur bewegten sich vormittags alle nur träge und nachmittags dann gar nicht mehr.
Eines Morgens gegen neun Uhr beschloss Nane, mit Jacqueline zur Plage des Vieilles zu fahren, ehe es zu heiß wurde. Trotz des schrecklichen Namens war der »Strand der Alten« ein besonders schöner Ort. Nane hatte ihn abends schon mehrmals mit ihrer Cousine aufgesucht. Ich war ganz vernarrt in den Strand und wusste, dass es Jacqueline ebenso ging. Die alte Dame setzte sich auf ihr kleines Handtuch, spannte den kleinen Sonnenschirm auf und schaute auf die grünen Wellen. Sie verriet es Nane nicht, aber sie liebte diesen Strand, weil sich hier immer wieder dieselben Szenen abspielten, die sie begeisterten. Braun gebrannte Jugendliche aus besseren Kreisenwaren unaufhörlich auf der Suche nach einem Geheimversteck, zu dem die Erwachsenen keinen Zutritt hatten. Dann kamen Großmütter mit faltigen, geröteten Gesichtern mit ihren Enkelkindern, die Krebse suchen wollten oder gefährliche Spiele erfanden. Jacqueline
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