Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
nickend zu, „zwei Taxen habe ich am Bahnhof gesehen, also, die gibt’s hier.“
„Na, wenigstens was. Und was wir später machen“, sagte Sebastian, zog sich das Jackett aus, hängte es über eine Stuhllehne und ließ sich der Länge nach auf sein Bett fallen, „das werden wir auch später sehen. Vielleicht“, fuhr er nach kurzer Pause fort, „vielleicht werden wir gar nicht mehr in den Osten zurück können. Kommt drauf an, was für’n Theater diese Flucht auslöst. Das kann dann ja die Wirtin melden, wenn die eh’ eingeweiht ist.“
„Das wissen wir alles nicht“, erklärte Hans-Peter leicht gereizt.
„Na, laß uns die Sache erst mal angehen“, beruhigte Sebastian. „Wir wissen ja noch gar nicht, ob das alles überhaupt klappt. Wenn ja, dann sehen wir weiter. Und wenn nicht, fahren wir eben wieder zurück.“
Hans-Peter ging auf Strümpfen und im Schlafanzug im Zimmer auf und ab und blieb schließlich vor Sebastians Bett stehen, auf dem dieser noch angekleidet lag. „Also, ich weiß nicht“, sagte er, „der Russe ist dann in Lebensgefahr. Und wir beide ...“ dazu schüttelte er den Kopf, „also ich frage mich, ob der uns überhaupt ernst nimmt, wir tragen nämlich die Verantwortung für ihn, für sein Leben und vielleicht auch für unseres. Dürfen wir das überhaupt? Und wird der uns sein Leben anvertrauen?“ Dazu sah er seinen Freund skeptisch an.
Sebastian richtete sich auf dem Bett hoch und stützte sich mit dem Ellenbogen ab.
Hans-Peter nahm die Durchquerung des Zimmers wieder auf, eines karg eingerichteten Zimmers: zwei Betten, zwei alte Nachtschränke, zwei durchgesessene Stühle, ein Tisch, ein wackliger Schrank, ein metallener Waschtisch mit Emailleschüssel und Wasserkanne, schwarz-gelb gestreifte Übergardinen am Fenster und ein abgewetzter Teppich in Orientoptik über rostbraunen Dielen, die beim Darübergehen knarrten. Und an der Zimmerdecke eine schwache Glühbirne unter einer runden Milchglasschale.
„Was heißt dürfen“, sagte Sebastian, „ich meine, das müssen wir einfach. Der will ja nicht aus Jux und Dollerei abhauen. Du hast doch gehört, wir haben nicht mehr viel Zeit. Der ist nämlich bedroht, der nimmt alles ernst, was ihm helfen kann, auch uns“, und Sebastian grinste, „ob du’s nun glauben willst oder nicht. Überleg doch mal, was würdest denn du tun? Die müssen sich auf uns verlassen, der Russe und auch die Wirtin. Eine heikle Kiste, klar, aber das wußten wir ja vorher.“
Hans-Peter hielt in seinem Marsch durch’s Zimmer inne, sah Sebastian an und lächelte gequält. „Du schwätzt ja bald wie mein Vater. Natürlich weiß ich, daß wir’s jetzt durchziehen müssen. Ich frag’ mich ja bloß, ob die hier nicht erfahrenere Leute hätten schicken sollen. Und vielleicht kann der auch nicht gleich weg.“
„Dann müssen wir hier eben warten.“ Sebastian richtete sich dabei vollends auf und setzte sich auf die Bettkante. „Was stellst du dir darunter vor?“
„Mehr so Profis“, antwortete Hans-Peter, „und das sind wir ja nun wirklich nicht. Schließlich ist das ein sowjetischer Major. Ich meine, das ist viel mehr Sache der Amis, wenn der überlaufen will.“
„Der muß flüchten, der will nicht überlaufen“, widersprach Sebastian.
Hans-Peter blieb vor ihm stehen. „Weißt du denn“, fragte er, „was der ausgefressen hat?“
„Eine doofe Frage. Wenn sich ein westlicher Geheimdienst für einen interessiert, dann wird der keine silbernen Löffel geklaut haben. Und was verstehst du denn unter ausfressen?“
Hans-Peter schob die Lippen vor und hob die Schultern. „Was weiß ich? Vielleicht hat der dem Westen was erzählt, irgendwelches Material geliefert.“
„Tun wir ja auch“, sagte Sebastian. „Vielleicht hat der aber auch nur aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Das reicht ja schon.“
„Bei einem russischen Major allemal“, bestätigte Hans-Peter.
„Na eben. Wenn der direkt für den Westen gearbeitet hätte, dann wären wohl ganz andere Leute hier aufgetaucht, so Profis, wie du vorhin sagtest. Ich denke, das ist ein kleiner Fisch, dieser Major, aber nicht uninteressant für den Westen. Und dafür reichen dann schon Rekruten, so Freiwillige des Kalten Krieges.“
„He, he“, protestierte Hans-Peter, „ich fühle mich nicht als Rekrut eines Kalten Krieges. Was ist das eigentlich?“
„Was?“
„Na, Kalter Krieg.“
„Kennst du das nicht?“ Sebastian sah den Freund verwundert an.
„Nee, noch nie
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