Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
wirklich was wissen konnte, würde er sich’s vielleicht denken können. Verraten? Hans-Peter Sasse versuchte das nicht so negativ zu sehen. Vom Major hatte er zu hören bekommen, er hätte, wenn auch sträflich verspätet, lediglich seine Pflicht getan. Er bemühte sich, das jetzt auch so zu sehen, schließlich wollte er hier irgendwann eine politische Laufbahn beginnen und da war es schon seine Pflicht gewesen, dafür etwas zu tun. Aber es dämmerte ihm auch, daß er sich ausgeliefert hatte.
Der Westen war damit endgültig abgeschrieben. Dort saß der Klassenfeind, zu dem auch viele verräterische westdeutsche Arbeiter zählten, die sich mit ihren Ausbeutern arrangiert hatten und die reaktionären Bauern sowieso… Es war ihm klar, daß er künftig so denken, sprechen und glauben mußte. Sprechen? Das würde gehen, aber denken und glauben? Doch wer mußte das schon? Der Major in Senftenberg ganz sicher nicht. Die glauben an das was sie sagen, so lange sie’s sagen. Jeder der höheren Genossen wußte das, aber niemand sprach offen darüber. So würde auch er es halten. Zu den höheren Genossen wollte er sich schließlich später auch mal zählen können.
Der Wagen hielt wieder vor dem rückwärtigen Eingang zur Stasi-Villa.
Der Major empfing ihn diesmal in seinem Büro und forderte ihn auf in einem der bequemen Ledersessel an einem runden Tisch Platz zu nehmen. Hans-Peter blickte sich kurz um, während er sich setzte. Er sah eine Bücherwand, einen Tresor, den Tisch, den eine Intarsienarbeit, ein fröhliches buntes Muster zierte. An einer Wand erkannte er die Porträts von Marx und Engels. Der Major stand vor einem hohen Fenster an einem ausladenden Schreibtisch, auf dem augenscheinlich Familienfotos standen. Er gab sich jovial und bot Hans-Peter aus einer Chesterfield-Schachtel, die er vom Schreibtisch nahm, eine Zigarette an. „Sie rauchen doch?“
Hans-Peter nickte und bediente sich mit spitzen Fingern aus der knisternden Packung. Der Major entflammte ein kleines silbernes Feuerzeug, das in seinen kurzen breiten Händen winzig wirkte.
„Was zu trinken?“ fragte er.
„Danke.“ Hans-Peter schüttelte den Kopf.
„Nehmen Sie ruhig was – Wodka, Whisky-Soda oder ein Glas Port?“
Hans-Peter bemerkte, wie ihm der Mund trocken wurde. „Vielleicht ein Glas Wasser“, sagte er.
„Wie Sie wollen“, sagte der Major und nahm aus einem Kühlschrank, der von außen wie ein Aktenschränkchen aussah, eine Flasche Margonwasser. Ein Glas langte er von einem Tisch, auf dem neben einigen weiteren Gläsern verschiedene Flaschen standen.
Hans-Peter erkannte neben Whisky auch französischen Cognac, eine Flasche, die er schon mal in Westberlin gesehen hatte. Alles vom Klassenfeind, ging es ihm durch den Kopf. Hat alles Devisen gekostet. Vielleicht waren auch Sachen dabei, die sie anderen weggenommen hatten. Schließlich war der Umtausch von Ost- in Westgeld verboten: Devisenvergehen. Von einem bis zu fünfzehn Jahren Zuchthaus war da alles drin überlegte er, bis er wieder die Stimme des Majors vernahm.
„Ihren Freund Kunzmann“, sagte der, „haben wir uns jetzt auch geholt.“
„Das war Sebaldts Freund, nicht meiner“, entgegnete Hans-Peter.
„Sie haben uns doch aber gemeinsam an die Imperialisten verraten.“
„Ja, aber über Sebastian habe ich diesen Totila erst kennen gelernt…“
„Dann hat der Kunzman auch angeworben, nicht Sie?“
„Ja klar, habe ich doch schon gesagt. Der Sebaldt hat den Kunzmann angeworben, das ist meine Aussage, steht auch so im Protokoll.“
„Aber Ihre Schwester ist in Westberlin.“
„Auch das habe ich zu Protokoll gegeben. Wir wollten sie damals gemeinsam besuchen und ich hatte den Zug verpaßt.“
„Richtig. In Ihrem Protokoll steht auch, daß Ihr Freund Sebaldt damals beim Zigarettenkauf in einem Westberliner Lokal Hoffmann kennen gelernt hat.“
„Ja. So hat er mir’s erzählt.“
„Und Ihre Schwester in Westberlin, war die mit dabei?“
„Davon weiß ich nichts“, und Hans-Peter drückte die Chesterfieldkippe in einem flachen Kristallaschenbecher aus.
„Hat Ihr Freund Sebaldt darüber nichts erzählt?“ bohrte der Major weiter.
„Nö.“ Hans-Peter hob die Schultern und schüttelte den Kopf.
„Aber der hat Ihnen doch bedenkenlos vertraut?“
„Ja, schon…“
„Na gut“, schloß der Major diese Angelegenheit ab. „Aber jetzt noch mal zum Pfarrer. Sie hatten zu Protokoll gegeben, daß Sie dabei waren, als Sebaldt diesen Pfarrer dem
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