Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
der Ober ihn rufen oder ihm mitteilen würde, ein Herr Hoffmann ließe sich entschuldigen, er sei leider dringend verhindert. Das würde die Genossen dort wie ein Blitz treffen und total verunsichern. Aber leider, sagte er sich, leider würde das nicht geschehen, wie er Hoffmann kannte. Der war immer zu allen Treffen erschienen, wenn manchmal auch verspätet.
Er saß schräg zum Fenster und sah hinaus auf den breiten Bürgersteig vor dem Lokal und ein Stück in den Kudamm hinein unter diesem dichten grauen Himmel. Ein Licht wie in seinem Traum letzte Nacht, nur daß er dort den Bahnhof Zoo und seinen Freund Sebastian – im Traum war der noch sein Freund – nicht gefunden hatte. Der hätte damals ja abhauen können. Er hatte ihm schließlich gesagt, daß er sich stellen würde, damals bei Sebastian in der Wohnung. Seine Schuld, nicht meine sagte Sasse sich wieder einmal wie schon so oft.
Auch Totila Kunzmann hatte er warnen lassen. Da war zwar nicht von selber stellen die Rede gewesen, aber warnen lassen hatte er ihn schon. Seine eigene Schuld, wenn der das nicht ernst genommen oder verstanden hatte.
Aber Hoffmann? Der wiegte sich hier in Westberlin natürlich in Sicherheit, obwohl er von Entführungen wußte und ihnen auch davon erzählt hatte. Aber wenn er den jetzt warnen würde schoß es ihm blitzartig durch den Kopf, nämlich auf keinen Fall etwas zu trinken? Doch was hätte ich, drängte sich ihm sogleich die Frage auf, von der dann gescheiterten Entführung? Schließlich verwarf er ganz schnell und erschreckt diesen Gedanken und das Warten ging weiter.
Jedes Mal, wenn Gäste kamen, wenn also die Eingangstür geöffnet wurde, die er von seinem Platz aus nicht ganz einsehen konnte, überfiel ihn Angst. Seine beiden Stasibegleiter am anderen Tisch kannten Hoffmanns Aussehen auch, war er doch längst unauffällig fotografiert worden. Hans-Peter hatte das Bild gesehen, eine Nahaufnahme. Teleobjektiv, hatten sie ihm lachend gesagt, als sie seine Verwunderung mitbekamen. Hoffmann blickte nämlich direkt ins Bild, also in die Kamera und hatte von alledem natürlich nichts bemerkt, sinnierte Hans-Peter dort am Tisch vor seinem halb geleerten und bereits abgestandenen Glas Bier. Wahrscheinlich hatten sie Hoffmanns Wohnung in dessen Abwesenheit auch schon durchsucht, die Adresse kannten sie ja. Ein Leichtsinnsfehler, uns damals in diese Wohnung zu bestellen…
Und dann kam er, Hoffmann, auf einmal quer durchs Restaurant in seinem grauen Gabardinemantel mit Gürtel und Schulterklappen. Er knöpfte ihn auf, während er sich kurz umsah und dem Mann hinterm Tresen etwas zurief, um dann auf Hans-Peter Sasses Tisch zuzusteuern, der halb zum Gruß, halb um auf sich aufmerksam zu machen, seinen Arm gehoben hatte.
„Haben Sie was gegessen“, fragte Hoffmann mit einer Handbewegung gegen den Tisch, bevor er sich den Mantel auszog und wie meistens über die Lehne eines unbesetzten Stuhls warf, um sich dann mit Blick zur Tür und dem Rücken gegen Sasses Begleiter niederzulassen.
„Ich hab’ mir ein bißchen den Magen verdorben“, antwortete Sasse. „Mir schmeckt nicht mal das Bier hier.“
„Wie wär’s mit ‘nem Underberg?“
„Um Gottes Willen!“ Sasse winkte ab. „Das vergeht auch so wieder.“
„Na, wie Sie meinen. Und sonst ist alles in Ordnung? Wie geht’s Ihrem Freund Sebaldt?“
„Dem geht’s gut. Wir hatten vor beide zu fahren, aber bei ihm ist, wie ich ja schon sagte, beruflich was dazwischen gekommen. Das ließ sich nicht vermeiden.“
Der Ober brachte Hoffmann ein gläsernes Kännchen mit dampfendem Wasser, ein Glas sowie Rum und Zucker auf einem Tablett.
Die starke Anspannung Sasses war völlig gewichen, er hatte keine Angst mehr, konnte sich ganz locker geben und das bemerkte er mit Erstaunen. In der Jackentasche ertastete er das Glasröhrchen, es war kalt und so fühlte er sich auch selbst, kein Zittern der Hände mehr, kein trockener Mund, kein innerliches Vibrieren wie sonst, wenn er an die gegenwärtige Situation gedacht hatte.
„Es war damals wohl blinder Alarm“, ließ Hoffmann sich wieder vernehmen.
Sasse nickte. „Na ja, vielleicht aber doch besser als falsche Sicherheit.“
Hoffmann wiegte den Kopf, dabei schüttete er den Rum ins Glas mit heißem Wasser. „Man sollte abwägen. Unsicherheit führt zu Fehlern“, sagte er, „unter Umständen aber auch zu bedenklicher Unbekümmertheit.“
„Es war wahrscheinlich schon richtig, daß wir unsere Kontakte ausgesetzt
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