Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
barmte er und lachte dazu.
„Wie viele Anschriften hast du denn“, wollte Sebastian wissen.
„Fast zweihundert.“
„Ich auch. Hast du denn gleich ein Hotel gefunden?“
„Na, hör’ auf. Das ist ja verrückt in Görlitz, da gibt’s kaum welche. Ich hab’ dann in einem Hotel eine Privatadresse bekommen und zum Glück dort auch übernachten können.“
„Und ich“, erklärte Sebastian, „hatte offensichtlich das Glück, das einzige noch freie Hotelzimmer in Halle zu erwischen. Das eine Hotel in der Nähe des Bahnhofs dicht, nichts zu machen. Ein nächstes zu, dunkel, geschlossen. Dann lange gar nichts. Ich irre umher. Endlich doch noch ein drittes, innen Licht, die Tür nicht abgeschlossen. Ich schnell rein und – an der Rezeption stand tatsächlich jemand – nach einem Zimmer gefragt. Ein anderer Gast gleich hinter mir wollte auch übernachten. Es gab aber nur noch ein einziges Einbettzimmer und das bekam dann der andere. Meine Frage: Ja und ich? Ich war eher hier. Wo soll ich jetzt hin? Wir haben nur noch Zweibettzimmer frei, erklärte die Dame an der Rezeption in einem Ton, der es ratsam erscheinen ließ, gleich zuzuschlagen. Ich war schon froh, selbst ein Zweibettzimmer bezahlen zu dürfen.“
„Was denn, obwohl du alleine warst?“
„Klar, hätte ich’s nicht genommen, hätte ich garantiert wieder auf der Straße gestanden in Kälte und Dunkelheit. Es war ja schon gegen Abend.“
„Huh – fremd in Kälte und Dunkelheit“, ulkte Hans-Peter, „das treibt einem ja eine Gänsehaut den Rücken runter. Bei mir aber auch Freitagabend, Kälte und Dunkelheit. Wochenenden sind für die Hotelzimmersuche wahrscheinlich nicht günstig.“
„Aber Halle ist doch kein Dorf.“
„Görlitz auch nicht. Ich denke aber viele ehemalige Hotels sind einfach nicht mehr in Betrieb genommen worden.“
„Ganz richtig. Du hast zu arbeiten, so will es die Partei, arbeiten und nicht verdächtig im Lande herumreisen …“
„Wie wir das tun“, warf Hans-Peter ein.
„Du weißt doch, in der Sowjetunion, dem Vaterland aller Werktätigen, darf sogar niemand ohne amtliche Genehmigung seinen Landkreis verlassen. Ganz so schlimm ist’s ja bei uns Gottlob noch nicht, da muß man direkt dankbar sein.“
„Ich hab’ gehört“, sagte Hans-Peter, „die haben da in Rußland ja nicht mal einen Personalausweis. Und ohne Paßport, das kennen wir doch von den Russen hier, da können die dort kaum ihre Dörfer und Städte verlassen.“
„Ist alles noch wesentlich schlimmer als bei uns“, bestätigte Sebastian. „Wer weiß, was noch kommt, auch hier.“
„Unke nicht schon wieder“, und Hans-Peter stieß den neben ihm auf der Treppe sitzenden Freund mit dem Ellenbogen in die Seite
„Sag mal“, fragte der, „hat bei dir auch ein Mieter seine Wohnungstür geöffnet, als du gerade seinen Namen vom Klingelschild abschreiben wolltest?“
„Klar“, antwortete Hans-Peter, „ist mir sogar dreimal passiert.“
„Wie hast du denn reagiert? Wir hatten ja vorher über sowas gar nicht gesprochen.“
Hans-Peter lachte. „Na, Wohnungsamt“, sagte er. „Ich komme vom Wohnungsamt, erklärte ich denen, als sie mich verwundert ansahen. Ich entschuldigte mich natürlich gleich. Hätte mich wohl in der Hausnummer geirrt.“
„Ja“, bestätigte Sebastian, „mir ging’s ebenso, also auch das mit der falschen Hausnummer“, sagte er. „Klar wurde mir das schon, als ich die ersten Namen abschrieb. Das Wohnungsamt fiel mir dann auch gleich ein, als sich eine Tür auftat. Müller, sagte ich, Werner Müller, der müßte doch hier wohnen, und ich guckte suchend auf meinen Block. Nummer sechsundzwanzig. Das ist doch hier sechsundzwanzig? Nein, das sei drei Häuser weiter, wurde mir dann gesagt. Aber ob dort ein Werner Müller wohne, das wisse man nicht genau. Ich tat dann verwundert. Ich hätte mich wohl vertan. Dann bedankte ich mich. Dieses Haus verließ ich umgehend. Zweimal ist mir das passiert.“
„Das ist ja lustig“, sagte Hans-Peter, „beiden ist uns das Wohnungsamt eingefallen und auch das mit der falschen Hausnummer.“
„Dabei war es Sonnabend. Aber bei einem Amt stehen die meisten ja bereits im Geiste stramm.“
„Und dann noch Wohnungsamt, also, da fürchten doch alle gleich, jemanden eingewiesen zu bekommen, wenn die Wohnung vielleicht ein paar Quadratmeter größer ist als üblicherweise erlaubt.“
„Wenn es keine Bonzen sind“, warf Sebastian ein. „Könnte ja sein, daß in einer Stalinallee
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