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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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düsterer, tonloser Film, der mir genau vor Augen führte, was meine Nachlässigkeit in den letzten Jahren angerichtet hatte.
    »Total schräg«, sagte Sam, »als wären wir Statisten in Twilight Zone .«
    »Ich weiß«, sagte ich, »es ist völlig abgefahren.« Ich blickte mich um; Carlos war schon nach oben gegangen. Wir machten kehrt, um ihm zu folgen, und gingen gemeinsam das Treppenhaus hinauf. Ich fragte mich, ob ich Grandmas Meinung nach für alle meine Sünden in die Hölle kommen würde oder nicht: Ich hatte Ma verrückt gemacht, sie in Zeiten der Not alleingelassen, mit Carlos geschlafen. Wenn du mich besser kennen würdest, Grandma, legtest du keinen Wert auf einen Besuch deiner Enkelin, zumindest nicht von dieser hier. Ich bin nicht mehr dasselbe kleine Mädchen, das dir samstags in der Küche bei deinen Bibellesungen zugehört hat. Ich bin rücksichtslos, und ich vernachlässige alles und jeden, und ganz besonders dich.
    Sam redete mit einem Wortschwall auf mich ein.
    »Was hast du gesagt?«, fragte ich sie.
    »Ich sagte, ist das nicht irre, was der Typ vom Café zu mir beim Rausgehen gesagt hat?«
    »Was denn?«
    » Happy Thanksgiving . Das ist doch irre, ich hab’s noch nicht mal gemerkt. Irgendwie abtörnend, finde ich, der Gedanke, dass heute Thanksgiving ist.«
    »Oh«, erwiderte ich. »Warte mal, was sagst du da? Thanksgiving? Jetzt? Ich meine, heute?«
    »Ja, irre, was? Aber wen interessiert das schon?«, fragte sie und stieß die Tür zu unserem Motelzimmer auf. Unser Blick fiel auf
Carlos, der auf dem alten Zenith-Fernseher zwischen den Kanälen hin- und herzappte.
    Mich. Mich interessierte, dass heute Thanksgiving war, und dass ich so abgekoppelt vom Rest der Welt vor mich hinlebte, war mir bis heute gar nicht klar gewesen. Ich aß wie in Trance meine Bagels auf, sah mir auf dem Sofa an Carlos gekuschelt die Morgennachrichten an und hörte ihm und Sam mit halbem Ohr bei ihren Witzen und Gesprächen zu. Ich war mit dem Gedanken beschäftigt, dass Lisa in diesem Schuljahr am Lehman College angefangen hatte. Es fiel mir ein, dass ich sie nie gefragt hatte, wie es dort war. Es faszinierte mich immer wieder, wie sie Schule, unsere Familie und sogar ihren Freund unter einen Hut brachte, ohne je unter der Belastung einzuknicken, ohne die Schule zu schwänzen. Ich bekam ganz plötzlich Panik bei der Vorstellung, dass auch sie Teil meiner anwachsenden Liste mit Dingen wurde, die ich bereute.
    Als Sam und Carlos endlich eingeschlafen waren, hievte ich Carlos’ schweren Arm weg von meinem Körper, sammelte aus seiner Armeehose Kleingeld zusammen, da ich es nicht wagte, sein Handy anzurühren, zog mir Stiefel an und huschte aus der Tür zur Telefonzelle. Die Kälte stach mir in Nase und Augen, und der Rufton in Bricks Wohnung beschleunigte meinen Puls. Ich betete darum, dass nicht er abheben möge.
    »Hallo?« Lisa war dran.
    »Hi, Lisa. Hab ich dich geweckt?« Meine Nervosität sorgte dafür, dass ich putzmunter klang. Ich hielt die Luft an, ob sie es merken würde.
    »Lizzy?«
    »Ja, hallo. Hab ich dich geweckt?«
    »Äh, nicht wirklich. Wo bist du?« Sie klang irgendwie perplex, was bedeutete, dass mein Anruf ungelegen kam.
    »Nicht so weit weg. Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.« Ich wünschte, ich könnte ihr erzählen, was alles passiert war, als wie launenhaft Carlos sich herausgestellt hatte, wo wir wohnten,
dass ich gerade Grandma in ihrer ganzen Einsamkeit gesehen hatte. Aber es war zu riskant. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass sie Brick nichts sagen würde, der wiederum Mr. Doumbia informieren würde, was unweigerlich auf meine Unterbringung im Heim hinauslief.
    »Oh, wie’s mir geht?«
    »Ja, wie läuft’s am Lehman?«
    »Lehman?«
    Es irritierte mich total, dass sie meine Worte ständig als Frage wiederholte und dass sie unangenehm lang zwischen ihren Antworten schwieg. Ich konnte ihren Argwohn, ihr Misstrauen meine guten Absichten betreffend und ihre Wut mir gegenüber förmlich spüren. Es ließ mich jedes weitere Wort auf die Waagschale legen.
    »Ja, ich, na ja, ich wollte nur mal anrufen und hören, wie’s dir geht. Ich dachte an die Schule und an dich … und an Ma.«
    »Lizzy, Ma ist im Krankenhaus. Sie ist krank. Sie ist seit eineinhalb Wochen da. Ständig muss sie jetzt wieder hin. Vorher hat sie immer nach dir gefragt, aber ich glaub, du hast’s vermasselt. In letzter Zeit ist sie ziemlich davon abgekommen.«
    Ich bekam einen Kloß im Hals. Vielleicht war es

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