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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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noch mit Klebeband zusammenhielten. Irgendwie machten Ma und Daddy mir immer wieder klar, dass sie mir einfach nichts geben konnten, was sie selbst nicht besaßen.
    Sie hatten nicht die Absicht, uns zu verletzen. Es war ja nicht so, als würden sie den ganzen Tag verschwinden, um für andere Kinder irgendwo bessere Eltern abzugeben, und dann zu uns zurückzukommen, um uns gegenüber gemein zu sein. Sie hatten einfach nicht die Gabe, die Eltern zu sein, die ich mir wünschte. Wie konnte ich ihnen also irgendetwas vorwerfen?
    Ich erinnere mich an das eine Mal, als Ma mir an meinem Geburtstag fünf Dollar stahl. Das Geld war ein Geschenk der Mutter meines Vaters aus Long Island. Der druckfrische Geldschein war per Post angekommen, sorgfältig genau über der Unterschrift meiner Großmutter und ihren handgeschriebenen Geburtstagsgrüßen in eine Glitzerkarte eingeklebt. Ich versteckte den Schein in meiner Kommode und schmiedete Pläne für einen Ausflug in den Süßigkeitenladen. Doch dazu kam es nicht. Ma wartete ab, bis ich aus meinem Zimmer gegangen war, und nahm sich das Geld, um Drogen zu kaufen.
    Als sie eine halbe Stunde später mit einem Briefchen wieder nach Hause kam, war ich furchtbar wütend auf sie. Ich verlangte mein Geld zurück, und ich bedachte sie mit Schimpfwörtern, an die ich jetzt nicht mehr denken möchte. Ma sagte gar nichts. Sie schnappte sich ihre Arbeitsutensilien – Spritze und Kokain – vom Küchentisch und stürmte ins Badezimmer. Ich folgte ihr auf den Fersen und schimpfte immer noch unflätig vor mich hin. Ich dachte, sie würde vor mir wegrennen, um sich ungestört den Schuss setzen zu können, aber damit lag ich völlig falsch. Stattdessen sah ich vom Flur aus, wie Ma etwas in die Toilette warf. Dann merkte ich, dass sie weinte und dass das, was sie in der Toilette weggespült hatte, ihr Kokain gewesen war. Sie hatte ihren gesamten Schuss weggeworfen – trotz ihrer Verzweiflung.

    Sie sah mich mit Tränen in den Augen an. »Ich bin kein Ungeheuer, Lizzy«, sagte sie. »Ich kann nur nicht anders. Vergibst du mir, meine Kleine?«
    Daraufhin musste ich auch weinen, und am Ende saßen wir auf dem Badezimmerboden und hielten uns fest im Arm. Ihre Spritze lag auf dem Waschbeckenrand, direkt in meinem Blickfeld, genau wie der von oben bis unten mit alten Einstichen gezeichnete Arm meiner Mutter. Mit ihrer sanftesten Stimme bat sie mich immer und immer wieder um dieselbe einfache Sache: »Vergib mir, Lizzy.«
    Also tat ich genau das.
    Sie machte das alles nicht mit Absicht; wäre sie in der Lage dazu gewesen, hätte sie aufgehört. »Alles ist in Ordnung, Ma, ich vergebe dir.« Ich verzieh ihr in diesem Augenblick und noch einmal zwei Monate später, als sie zum Kühlschrank ging und unseren tiefgefrorenen Truthahn für Thanksgiving, den wir von der Kirche bekommen hatten, an einen Nachbarn verkaufte, damit sie an Geld für einen weiteren Schuss kam. Ihr zu vergeben bedeutete aber nicht, dass ich nicht auch am Boden zerstört war. Ich war jedes Mal todunglücklich und zutiefst verletzt, wenn sie uns wieder hungrig zurückließen. Ich gab ihnen nur nicht die Schuld für meinen Kummer. Ich war nicht wütend auf sie. Wenn ich überhaupt irgendetwas hasste, dann die Drogen und die Sucht an sich, aber nicht meine Eltern. Ich liebte meine Eltern, und ich wusste, dass sie mich auch liebten. Da war ich mir ganz sicher.
    Wenn Ma zum Beispiel für ihre spontanen Besuche an meinem Bett mitten in der Nacht ihren Drogenkonsum unterbrach und an mein Bett kam, um mich warm zuzudecken und mir eine einzige Strophe von You are my Sunshine vorzusingen. Dabei lächelte sie mich an und wuschelte mit ihren Fingern durch mein Haar. Sie verteilte dann Küsschen über mein ganzes Gesicht und sagte mir, ihre Kinder seien das Beste, was ihr je passiert sei. »Du und Lisa seid meine Engel, meine Kleinen«, versicherte sie mir, und ich wusste, dass ich geliebt wurde. Der Geruch nach ihren Winston-Zigaretten
und der schwache bittere Geruch nach Kokain lagen immer in der Luft – Gerüche, die mich in den Schlaf lullten.
    Oder in einer kalten Winternacht gegen vier Uhr morgens, als Daddy völlig erschöpft war und sich trotzdem von mir zu einem Spaziergang im unberührten Schnee durch unser Viertel überreden ließ. Die frühe Morgenstunde und der Neuschnee, der unter dem Licht der Straßenlampen wie ein Beet aus strahlenden Diamanten glitzerte, umhüllten uns und ließen es so wirken, als sei der knirschende Boden unter

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