Als der Tag begann
auf Daddys Postkarte — und in der Rice-A-Roni-Werbung – gesehen hatte. Nachdem unsere Kinder (jede drei) groß geworden und weggezogen waren, würden wir uns ab sechzig riesige Alte-Damen-Sonnenbrillen kaufen, und wir würden uns in den Liegen unserer zusammengelegten Gärten sonnen, bis unsere Haut zu lebendigem Leder würde. Doch im Moment musste New York noch herhalten.
Irgendwie jedoch bemerkten wir kaum, dass unser gemeinsames Leben schon jetzt begonnen hatte.
Nach und nach begann Sam, in Bricks Wohnung Schubladen einzuräumen. Sie stapelte ihre Zeichenblöcke, Kassetten, Schuhe und Klamotten in schlampigen Haufen, durch die sich unsere Sachen mit der Zeit vollständig vermischten. Gemeinsam spazierten wir zu jeder Nachtzeit durch Bedford Park. Immer wieder schlug ich ihr vor, zu Bobby zu gehen, wo wir dann Steinchen ans Fenster warfen. Mein Herz klopfte, wenn ich darauf wartete, dass er sich zeigte. Das Licht seines Fernsehers flackerte in seinem dunklen Zimmer, wenn er sich dann aus dem Fenster lehnte, Chipstüten hinunterwarf und flüsternd von Ringkämpfen oder seinen letzten Videospielanstrengungen erzählte.
Manchmal waren Myers und Fief bei ihm zu Besuch, und dann schlichen sie sich heraus, und wir trafen uns im Park, wo wir uns über die Lehrer lustig machten und der Reihe nach Geschichten zum Besten gaben. Ich erzählte ihnen von meinen Abenteuern mit Rick und Danny, von dem Feuer bei den alten Leutchen und wie Rick einen Schlag bekommen hatte.
»Ich sagte ihm nur: ›Probier die mal‹, und er tat’s. Seine Finger waren so verbrannt wie Toast!«
Sams Lieblingsstorys waren die von Daddy über Serienmörder. Es gefiel ihr, die Meinung der Psychologen zu den Mordmotiven zu hören. Ich freute mich darüber, dass meine neuen Freunde offensichtlich genauso viel Angst wie ich hatten, als ich Daddys Geschichten zum ersten Mal gehört hatte, oder dass sie beim bloßen Erwähnen von Ricks Namen in hysterisches Gelächter ausbrachen.
Aber meistens waren Sam und ich allein. Wir drehten unsere Runden und gingen zum All-Night-Diner, einem Esslokal auf dem Bedford Park Boulevard Ecke Jerome Avenue, das die ganze Nacht geöffnet hatte und wo wir uns mit dem mexikanischen Nachtmanager anfreundeten, einem korpulenten, oft betrunkenen Mann namens Tony. Dort wärmten wir uns nach der Kälte auf und redeten bei Mozzarella und in Soße getauchten Pommes frites über dies und das aus unserem Leben, während aus den alten Lautsprechern mexikanische Boleros krächzten.
In diesen Nächten, in denen wir gemeinsam draußen umherwanderten, vertraute mir Sam einige sehr schwierige Dinge an, die sich bei ihr zu Hause abspielten. Die genauen Einzelheiten, die sie mit mir teilte, sind privat, allerdings will ich so viel dazu sagen, dass es aus gutem Grund besser für sie war, sich von dort fernzuhalten. Und die Dinge, die sie mir erzählte, weckten den Wunsch in mir, sie zu beschützen. Er erwuchs aus der immer stärker werdenden Liebe für unsere Freundschaft, für die schwesterliche Verbundenheit, die wir uns gemeinsam aufbauten. Wenn sie das Gefühl hatte, dorthin nicht zurückkehren zu können, sagte ich ihr, dann könne sie immer bei mir bleiben.
Ich fing damit an, sie über Nacht hineinzuschmuggeln, ohne dass Brick etwas wusste. Er hatte mich nachdrücklich gewarnt, nach zehn Uhr keinen Besuch mehr zu haben, aber angesichts der Tatsache, dass er um Punkt halb zehn ins Bett ging, war diese Regel leicht zu umgehen. Wir nahmen ein Bettlaken und befestigten
es an dem L-förmig angeordneten Etagenbett von Lisa und mir. Dann polsterte ich mit einer alten Paisley-Decke aus Bricks Flurschank den Boden an Sams Schlafstelle. Alles, was wir tun mussten, war, die Wohnungstür abends zu öffnen und wieder zuzuschlagen, um den Eindruck zu erwecken, sie sei nach Hause gegangen. Dann schlichen wir auf Zehenspitzen ins Zimmer zurück und versteckten sie. Sams Beine steckten unter dem vorderen Teil des unteren Betts, und ihr Körper ragte neben meinem Kopf heraus, und in dieser Position überließ ich ihr die Hälfte meiner TV-Dinner, gläserweise Pepsi oder Oreo-Kekse oder was sich sonst noch in Bricks endlosen Rabattvorräten befand.
Ich fand heraus, dass Sam, so wild sie oft war, auch eine irgendwie welpenhafte Seite hatte, als ob in ihre grobschlächtigen, exzentrischen Ausbrüche subtile Andeutungen eingefädelt wären, dass man sich um sie kümmern sollte. Man erkannte es an der Art, wie sie einen Fahrstuhl betrat und niemals
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