Als die erste Atombombe fiel
werden. Sie fanden ein über einen Zentimeter langes Stück Glas. Am 23. Dezember kriegte meine Mutter ein Baby, einen kleinen Jungen, darum musste mich mein dreizehnjähriger Bruder an meinem ersten Schultag zur Schule bringen und ich wurde wieder eine Erstklässlerin. Es war nichts zu essen im Haus und meine Mutter konnte wegen des Babys nicht arbeiten gehen. Ich weiß noch, wie schwer es für uns war, zurechtzukommen.
Im November des nächsten Jahres begann meine Mutter, im Tagelohn bei Straßenarbeiten in der Stadt zu helfen. Sie musste das Baby mitnehmen und verdiente nur sehr wenig. Mein Bruder musste die Schule verlassen und als Verkäufer in einem Laden in Kyobashi-cho arbeiten. Jetzt arbeitet meine Mutter als Kassiererin für eine Zeitung und im Januar letzten Jahres erhielt sie von ihrer Firma eine Auszeichnung für ihre Arbeit. Unser Baby, das im Todesjahr meines Vaters geboren wurde, ist jetzt sechs Jahre alt und kommt im nächsten Jahr zur Schule. Ich gehe in die sechste Klasse. Ich habe nicht genug Zeit zum Lernen, weil ich Mutter helfen muss, wenn ich aus der Schule komme.
Ich beneide alle meine Freundinnen, die Väter haben. Und ich kann es nicht abwarten, bis ich erwachsen bin. Dann baue ich ein hübsches Haus und mache meine Mutter froh.
7 Siehe dazu das nächste Kapitel: Ein Gott sprach.
Ein Gott sprach
oder: wie Kaiser Hirohito das Ende des Krieges verkündete
Die Rundfunkansprache des japanischen Kaisers Hirohito am 15. August 1945 löste überall im Lande Enttäuschung und tiefe Bestürzung aus.
Die meisten Japaner hörten zum ersten Mal die Stimme des Tenno, den sie wie einen Gott verehrten, und dieser »Gott« verkündete plötzlich, ihr Land, Japan, habe den Krieg verloren. Das war unfassbar! Hirohito sagte in einer für seine Untertanen schwer verständlichen und verklausulierten Sprache:
»Wir haben Amerika und Großbritannien den Krieg aufgrund unseres starken Wunsches erklärt, Japans Überleben und ein stabiles Ostasien zu garantieren, wobei es uns fern lag, anderen Nationen unsere Herrschaft aufzuzwingen oder unser Territorium zu vergrößern. Doch der Krieg dauert nun schon vier Jahre. Obgleich alle taten, was sie konnten, hat sich der Krieg nicht notwendig zu Japans Vorteil entwickelt, während sich die allgemeine Entwicklung der Welt ganz und gar gegen seine Interessen stemmt. Vor allem hat der Feind mit einer neuen grausamen Waffe Tod und Vernichtung über die unschuldige Bevölkerung gebracht … Unter diesen Bedingungen den Krieg fortzusetzen, hieße nicht nur, die Vernichtung unserer Nation herbeizuführen, es würde auch die Zerstörung der ganzen Zivilisation bedeuten …«
Die Darstellung des Kaisers entsprach nicht der Wirklichkeit. Schon vor Ausbruch des Pazifischen Krieges hatte Japan sein Territorium vergrößert und anderen Nationen seine Herrschaft aufgezwungen, zum Beispiel den Koreanern, den Taiwanesen und Millionen von Chinesen. Das fernöstliche Land wollte – ähnlich wie Hitler-Deutschland – seinen »Lebensraum« erweitern und wegen der eigenen Rohstoffarmut die Versorgung etwa mit Öl sicherstellen. Durch den Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 sollte der wichtigste Störfaktor bei der Verwirklichung weiterer Eroberungspläne, nämlich die amerikanische Pazifik-Flotte, ausgeschaltet werden. Dass zwischen Pearl Harbor und Hiroshima ein Zusammenhang bestand, dass die Japaner den grausamen Atomüberfall der Amerikaner mitverschuldet hatten, erwähnte der Tenno nicht.
Viele Menschen, die dem Kaiser zuhörten, brachen in Tränen aus und warfen sich vor Scham auf den Boden; andere entschuldigten sich dafür, dass sie nicht genug für den Sieg des Landes getan hätten. Vor dem Kaiserpalast in Tokio begingen hunderte von hohen Offizieren und Piloten der Luftwaffe Selbstmord, indem sie sich den Bauch aufschlitzten. Nicht nur fanatisierte Militärs, auch die Masse der Bevölkerung war bis zuletzt von der kriegerischen Überlegenheit des eigenen Landes überzeugt, ein Glaube, der ihnen seit Jahren eingehämmert worden war und der besonders in den Schulen mit glühender Inbrunst gepredigt wurde. Treue und Ergebenheit an den Gott-Kaiser Hirohito, Pflichterfüllung für den Staat, notfalls bis zur Selbstaufgabe – der japanische Faschismus unterschied sich in dieser Hinsicht nicht von dem deutschen. Selbst in dem von der Atombombe schrecklich zugerichteten Hiroshima blieb der fanatische Glaube an den Sieg Japans erhalten.
Am 2. September 1945
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