Als die schwarzen Feen kamen
Dämonenhund und die Harpyie folgten Gabriel mit den Augen, als er das Zimmer verließ. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den Eindruck, dass sie ihn mit weniger Hass als sonst betrachteten, und zum ersten Mal verspürte er sogar so etwas wie Mitleid für diese Kreaturen. Sie hatten einen gemeinsamen Feind, das begriffen selbst die Bestien. Sie alle waren gleichermaßen hilflos, weil sie gegen etwas kämpften, das außerhalb ihrer Reichweite lag. Keiner von ihnen wollte Henrik oder Alex verloren geben, sie alle waren erschöpft und verzweifelt. Und ihnen allen blieb jetzt nur noch eine Hoffnung.
Siebzehntes Kapitel: Tausend Scherben
Zwischen ihren Freundinnen zu sitzen, war noch viel unerträglicher, als Marie es sich vorgestellt hatte. Es war nicht nur Theresas giftiges Schweigen, und auch nicht Jennys ebenso fassungslose wie neugierige Blicke, die sie von der anderen Seite trafen. Das war hart, aber sie hätte es irgendwie ignorieren können. Was Marie am meisten zu schaffen machte, war das Gefühl, völlig allein zu sein. Noch nie hatte sie sich in einem Raum voller Menschen so einsam gefühlt. Und gleichzeitig kam es ihr vor, als würde jeder einzelne ihrer Mitschüler immer wieder verstohlen zu ihr hinschielen, als hätte sie eine abstoßende Narbe mitten im Gesicht oder eine ansteckende Krankheit. Als könnte ihr auf einmal jeder sofort ansehen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, dass da ein Loch in ihrem Schatten war und dass sie die Schuld daran trug, dass ihre eigene Mutter im Koma lag. Alle beobachteten sie und schienen sie gleichzeitig zu meiden wie eine Aussätzige. Selbst Herr Kruse, der Englischlehrer, verzichtete ganz entgegen seiner Gewohnheit darauf, auf Maries fürchterlicher Aussprache herumzuhacken– und das, obwohl sie mehr als zehn Minuten zu spät zum Unterricht erschienen war. Dabei verging für gewöhnlich keine einzige Stunde, in der sie nicht wenigstens einmal von ihrem Lehrer getriezt wurde. Was ihn betraf, war Marie allerdings froh, dass er sie in Ruhe ließ. Sie wünschte sich nur, sie hätte einfach zerfließen und unter dem dunklen Bodenbelag des Klassenraums verschwinden können.
Als endlich der erlösende Gong ertönte, der das Ende des Unterrichts anzeigte, hatte sie ihre Hefte und Bücher längst in ihre Tasche zurückgeschoben. Sie nahm sich nicht einmal Zeit, um ihre Jacke anzuziehen. Fluchtartig verließ sie den Klassenraum, wobei sie es vermied, Theresa oder Jenny anzusehen. Aber sie kam nicht besonders weit. In der Eingangshalle, nur wenige Meter vor dem Haupteingang, holte eine helle Stimme sie ein.
» Marie!«
Marie hielt inne und schloss die Augen, um mühsam durchzuatmen. Dann wandte sie sich langsam um. Am Fuß der Treppe, Jenny wie einen treuen Hund dicht an ihrer Seite, stand Theresa. Ihre dunklen Augen blitzten vor Wut. Die Halle füllte sich allmählich mit Schülern, die aus ihren Klassenzimmern strömten, auf dem Weg nach Hause oder in den Nachmittagsunterricht. Aber das spielte für Theresa offensichtlich keine große Rolle. Sie würde es austragen. Hier und jetzt.
» Du kannst nicht einfach immer weglaufen!« Ihre Stimme klang hoch und ein bisschen schrill vor Aufregung. » Du könntest wenigstens dazu stehen, dass du mit dem Jungen, in den ich seit Jahren verliebt bin, rumgemacht hast, wo du doch angeblich meine ach so gute Freundin bist! Aber statt mir das ins Gesicht zu sagen, versuchst du einfach abzuhauen! Das ist so feige!«
Marie spürte, wie sich hinter ihren Augenlidern ein schmerzhafter Druck aufbaute. Im Nacken spürte sie inzwischen die Blicke von zig verwunderten Augenpaaren. Am liebsten wäre sie in diesem Moment wirklich einfach davongestürmt. Es gab Dinge, die wichtiger waren, viel wichtiger! Und Theresa würde sie ja sowieso nicht verstehen, egal was sie sagte. Selbst wenn sie ihrer Freundin von den Feen hätte erzählen können – im Gegensatz zu früher, als sie Marie unterstützt hatte, wenn die Feen sie quälten, würde Theresa ihr heute nicht mehr glauben, das wusste Marie genau. Aber dass in dieser verfahrenen Situation ausgerechnet Theresas Schwarm Gabriel zu ihrem einzigen Rettungsanker geworden war, war nicht Maries Fehler, und sie weigerte sich, sich deswegen schuldig zu fühlen. Sie brauchte Gabriel, und er mochte sie, und das hatte mit Theresa überhaupt nichts zu tun!
Sie drängte die Tränen zurück und reckte trotzig das Kinn. » Wer sagt, dass ich nicht dazu stehe? Ich habe einfach keine Lust, mir deine dämlichen
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