Als die Uhr dreizehn schlug
dass Abel ihn hören und ihm daher antworten konnte. »Oh!«, rief er, »wissen Sie – lebt Hatty oder ist sie tot?«
»Hört, hört«, sagte Abel, »du hast doch oft genug versucht, sie zu töten, sie, die weder Mutter noch Vater hatte und hier auch kein Zuhause – nichts als ihre Unschuld, gegen dein Teufelswerk mit Pfeil und Bogen und Messern und Aussichtspunkten. Scher dich davon, sage ich!«
Tom rührte sich nicht vom Fleck. Doch Abel, mit Hatty auf den Armen, wich zurück, über den Rasen und in Richtung Haus. Währenddessen wiederholte er mit lauter Stimme jenes Gebet, das Tom für ein Essensgebet gehalten hatte: »… möge der Herr mich vor allen Listen des Teufels beschützen, damit dieser mir kein Leid tut.« Abel sprach mit zitternder Stimme und stolperte unter seiner Last, während er Schritt für Schritt rückwärts ging, die Augen fest auf Tom gerichtet, die Treppe hinauf und durch die Gartentür ins Haus. Die Tür schlug zu und Tom hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde.
Dann erwachte Tom aus seinem Entsetzen. Er rannte zur Tür und stürzte sich auf sie, trommelte wild mit den Fäusten dagegen und flehte erst Abel und dann Hatty an, ihn hereinzulassen. Die Tür blieb verschlossen; sein Schreien und Klopfen lockte niemanden an. Von den beiden, die ihn vielleicht hätten hören und hereinlassen können, schien der eine nicht zu wollen und die andere nicht zu können.
Auf der Suche nach Hatty
T om lehnte sich weinend an die Gartentür, erschöpft von seinem zornigen Getrommel. Drinnen schlug die Standuhr teilnahmslos die Stunde. Von oben drang fernes Stimmengewirr und Fußgetrappel an sein Ohr.
Er konnte die Tür nicht öffnen und jetzt erkannte er, dass er alle Willenskraft und Energie, die ihn vielleicht hindurchgetragen hätten, erschöpft hatte. Tom war ausgesperrt und konnte weder zu Hatty noch in sein Bett bei den Kitsons. Doch um Hatty hatte er mehr Angst als um sich selbst.
Er überquerte den Rasen und stellte sich unter den Laubvorhang einer Eibe. Jetzt konnte er nur noch abwarten.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Gartentür wieder aufging und Abel herauskam. Sofort rannte Tom zu ihm hinüber und sprach ihn an: »Abel, bitte, wie geht es Hatty?«
Tom hatte sich auf alles Erdenkliche gefasst gemacht. Wenn Abel glaubte, er sei ein Dämon aus der Hölle, als Junge verkleidet und darauf aus, Unglück über Hatty zu bringen – wenn er das glaubte, dann würde er Tom hassen und ihn anschreien, ihn verfluchen und mit Bannsprüchen belegen und mit Gebeten und der Bibel vertreiben wollen. Das Einzige, was Tom nicht erwartet hatte, war, dass Abel nun wieder so tat, als ob er Tom weder sehen noch hören könne.
»Abel – Abel – Abel«, bettelte Tom, »sie ist nicht tot, oder? Sie ist nicht tot?« Endlich blinzelte Abel und wenigstens einen Moment lang sah er Tom an. Toms Gesicht war schmutzig vom Bäumeklettern, und Tränen der Erschöpfung und des Schreckens hatten zwei saubere Bahnen von den Augen bis zum Kinn gezogen. Alles in allem hatte Tom so viel von einem Jungen und so wenig von einem Dämon an sich, dass Abel, fast gegen seinen Willen, zum letzten Mal zu ihm sprach.
»Nein«, sagte Abel, »sie lebt.« Und wieder richtete er seinen Blick fest geradeaus, stapfte absichtlich durch eine Seite von Toms Körper hindurch und machte sich auf den Weg zum Geräteschuppen.
Abel hatte die Gartentür hinter sich offen gelassen – wie immer in diesen Sommertagen. Toms erster Gedanke war, sofort ins Haus zu gehen, und die Frage, ob er ins Bett gehen oder mehr über Hatty herausfinden wollte, war für ihn bereits entschieden.
Diesmal lösten sich die Möbel nicht vor seinen Augen auf, während er den Flur entlangging, die ausgestopften Tiere blieben an ihren Plätzen und starrten ihn mit ihren Glasaugen durch die Scheiben der Glaskästen an. Auch entging ihm nicht, dass die Quecksilbersäule des Barometers auf Sehr Trocken stand. Alles war klar und deutlich zu sehen. Tom erreichte die Standuhr; ihre Zeiger wiesen auf elf Minuten vor fünf, und wieder sah er die Gestalt auf dem Zifferblatt. Trotz seiner Angst um Hatty schlug sie ihn in ihren Bann. Es gab nichts Neues, und doch schien er alles wie neu zu sehen. Er wusste immer noch nicht, wer oder was diese Engelsgestalt war, die hier aufgemalt war, mit einem Fuß an Land und dem andern im Meer und mit einem aufgeschlagenen Buch in der Hand. Aber er hatte das Gefühl, dass er ihren Sinn schon bald begreifen würde.
Er wandte sich
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