Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Schwerste bevor, nämlich Max und Hedy Lebewohl zu sagen. Gisela fuhr mit mir nach Niederau. Sie wusste zu genau, wie schwer mir das fiel. Am meisten hatte ich Angst davor, diese beiden so lieben Menschen zu verletzen, sie enttäuschen zu müssen, ihnen Schmerz zuzufügen. Aber nun ging es eben einmal nur um mich. Seit der Zerstörung der Stadt, der Nachricht von Karls Tod und den allgemeinen schlechten Nachrichten wurde ich zusehends unsicherer. Nichts von alledem, was mir unendlich viel bedeutet hatte, war geblieben. Gisela aber war immer noch da, sie war so feinfühlig, verstand es, mich zu stützen und zu halten. Sie dachte für mich. Ich ließ es nur einfach geschehen. So wurde das Verabschieden von meinen Ersatzeltern ein stilles Drama. Auch Gisela ging es sehr nahe. Die beiden nahmen uns einfach abwechselnd in die Arme. Sie beruhigten mich und meinten, es sei für mich sicher das Beste, wenn ich von Giselas Eltern aufgenommen würde.
»Wie es auch kommt, es wird uns überall treffen«, meinte Max, »es ist auf jeden Fall besser, wenn ihr jungen Menschen euch selbst durchbeißen könnt.«
»Du, mein Mädel, bleib stark. Bleib so, wie du bist, und vergiss uns nicht«, sagte Hedy unter Tränen.
»Das werde ich ganz bestimmt nicht, ich bin euch so viel Dank schuldig. Ich hoffe ganz fest, dass ich es eines Tages gutmachen kann.« Max, der eine Weile aus dem Zimmer gegangen war, übergab mir einen größeren verschlossenen Umschlag und legte mir nahe, gut darauf aufzupassen. Es solle nur, wenn ich in Not käme, helfen. Unter Schluchzen und Danke sagen bat ich Hedy noch, sie solle für mich an Vater schreiben, was Gisela und ich vorhätten. »Es fällt mir schwer, Hedy, Vater zu informieren. Sein letzter Brief war sehr traurig. Ich glaube, er denkt viel an meine Mutter. Schreib ihm auch, dass der Entschluss plötzlich kam, dass Dresden zerstört ist und dass ich seit zwei Monaten nichts mehr von meinen Angehörigen gehört habe. Ich verspreche ihm, dass ich auf mich aufpassen werde und sehr froh darüber bin, dass es ihn gibt.«
»Mach ich, mein Mädel, passt gut auf euch auf und bitte, meldet euch, sobald ihr angekommen seid«, sagte Hedy.
So nahm unser aller Leben eine andere Richtung, so ganz anders, als wir es geplant, ganz anders, als wir es uns gewünscht hatten. Die Richtung führte mich fürs Erste noch viel weiter von meiner Familie weg. Für Gisela führte der Weg zurück zu ihren Eltern, die sich ungewollt auch in der Fremde zurechtfinden mussten. Aber die Familie war beisammen, bis auf Giselas Bruder. Da er kein Soldat war, würde es ihm sicher gelingen, über kurz oder lang bei den Eltern aufzutauchen.
Von unseren Freunden in der Schule in Radebeul wurden wir herzlich verabschiedet. Sie wünschten uns alles Gute. Vielleicht ein Wiedersehen? Wohl kaum, dachte ich, warum, war mir nicht klar. Meine Gedanken waren bei Karl. Hätte ich diese Schule beendet, er sein Studium fortgesetzt, wir hätten später zusammen arbeiten können. Wir wären zusammen gewesen. Stella unterbrach meine Gedanken. Sie nahm meine Hand.
»Es tut mir weh, wenn ich daran denke, dass du nun fort gehst. Wirst du mir schreiben?«
»Bestimmt, Stella, werde ich das. Wenn die Verhältnisse es wieder erlauben, komme ich als Erstes nach Radebeul zurück. Frau Rudolph hat mir angeboten, dann wieder bei ihr zu wohnen. Sollte sich die Möglichkeit bieten, die Schule hier weiter zu besuchen, werde ich die Ausbildung fortsetzen. Vielleicht kommt Gisela mit zurück, darüber werden wir zeitgerecht nachdenken. Es hängt sicher von ihren Eltern ab. Für mich wäre hier ein Neuanfang sicher nicht so schwer. Meine Pflegeeltern würden mir dabei helfen.«
»Das wäre toll«, meinte Stella, »ich würde mich so freuen.«
So packten Gisela und ich unser bisheriges Leben, jede für sich, in einen kleinen Koffer und einen Rucksack. Gisela konnte alles mitnehmen, außer ihren Schulbüchern. Diese verpackte Frau Rudolph mit den meinen in eine Kiste. Die restlichen Sachen von mir kamen in eine Truhe. Sollte für uns Post kommen, wollte sie Frau Rudolph uns nachsenden. Von Erna hatte ich noch eine Nachricht erwartet. Doch nach dem schweren Angriff am 5. März 1945 auf Chemnitz hatte sie bestimmt ganz andere Sorgen. So mussten wir uns von Freunden, von Gewohntem und stillen Hoffnungen verabschieden. Jeder Tag war ein geschenkter Tag. Dies wurde uns gerade jetzt, wo wir uns auf den Weg in die Ungewissheit machten, so richtig bewusst. Mitte März, am
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