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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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Rucksack öffnen. Die Koffer quetscht euch zwischen die Füße.« Es musste noch mehr gedrängt werden, um die noch Einsteigenden aufzunehmen. Luft war Mangelware. Ein Schaffner schloss die schweren Schiebetüren bis auf einen Spalt. Dabei versuchte ich, mich mit Gisela etwas von der Tür zur Seite zu drängeln, um die kalte Luft nicht so massiv abzukriegen.
    Vor der Abfahrt wurden die Reisenden in den Waggons mit lauten Durchsagen darüber aufgeklärt, dass der Zug, wenn alles gut ging, erst in Neustrelitz hielt. Wer vorher aussteigen wollte, musste den nächsten Zug abwarten. Man hoffte, dass das Gedränge nachlassen würde, aber niemand stieg aus. Endlich kam der Zug ins Rollen. Es dauerte, bis er etwas Geschwindigkeit bekam. Hinfallen konnte niemand. Es war grauenhaft. Einige Male hielt der Menschentransport auf freier Strecke. Männer im Waggon versuchten, die schwere Türe solange etwas mehr zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen. Das Stehen war kaum zu ertragen, die schlechte Luft, der schwere Rucksack. Die Füße konnte man nicht bewegen, um nicht den Nebenmann zu treten. Ich bekam Angst, dieser Strapaze nicht gewachsen zu sein. Aber ich hielt durch. Nach mehrfachem Halten, Rangieren, Abhängen von Waggons, neu Ankoppeln kamen wir in der Nacht in Stralsund an. Wir ahnten schon, dass wir die Nacht im Bahnhof verbringen müssten.
    Aber am Morgen gegen acht Uhr fuhren wir endlich in Richtung Bergen. Unser Ziel war erreicht. Die herzliche Begrüßung von Herrn Weber, die Freude, dass ich mitgekommen war, ließen mich fürs Erste die Zweifel vergessen, die während der Fahrt doch aufgekommen waren.
    Frau Weber arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft, nicht weit von der Wohnung. Herr Weber alarmierte seine Frau, die zur Begrüßung schnell nach Hause kam und Gisela recht stürmisch, dann mich sehr herzlich begrüßte und willkommen hieß. Es gab warmen Malzkaffee, sogar mit Milch, dunkles, knuspriges Brot, sogar Butter und Marmelade. Frau Weber, die wieder an die Arbeit musste, meinte, dass Gisela und ich erst einmal ausschlafen sollten. Sie zeigte uns das Schlafzimmer, das Gisela ja kannte, und meinte, ich sollte mich rechts in das Bett legen und Gisela links, damit wir so richtig schlafen könnten. Wenn sie am späten Nachmittag nach Hause käme, würde sie uns Essen kochen.
    Wie schon erwähnt, waren die Webers amtlich in diesem Haus einquartiert worden. Es war ein kleines Einfamilienhaus. Die Küche war im Parterre und Familie Weber musste sich an den Plan der Hausfrau halten, sie kochte mittags, abends durften dann Webers die Küche benutzen. Ein größeres Zimmer im Anschluss an die Küche war das Schlaf- und Wohnzimmer von Giselas Eltern. Darin standen zwei Betten. Das eine an der rechten Wand, in dem ich an diesem Morgen schlief, das andere an der linken Wand. In der Mitte befand sich ein Tisch mit vier Stühlen und neben dem Fenster links ein Kleiderschrank. Am Fußende des rechten Bettes stand eine Kommode. Neben jedem Bett fand sich ein Hocker, bestückt mit einer kleinen Nachttischlampe, die aber wegen der Verdunklung nicht benutzt wurden. Gisela erklärte, dass wir beide zusammen im rechten Bett schlafen müssten. Ihre Eltern schliefen zusammen auf der linken Seite. Mich beschlich das Gefühl, dass es für die Eltern bestimmt nicht so angenehm war, wenn wir alle in einem Zimmer nächtigen mussten. Aber das hatten sie sicher auch bedacht, als sie mich einluden. Millionen von Menschen erging es genauso, trotzdem war ich doch für diese Familie eine völlig Fremde. Auf alle Fälle wollte ich versuchen, mich nützlich zu machen. Vielleicht gab es für mich eine Arbeit, wo ich eventuell auch schlafen konnte. Aber wer hatte noch Arbeit, Brot und Unterkunft – noch dazu für eine Fremde? Bereits in der ersten Nacht fing ich an zu grübeln, wie es wohl weitergehen sollte. Bei der Ankunft in Stralsund hatte ich geglaubt, so ein fernes, leises Donnern zu hören, das von Geschützen herrühren konnte. Zu Gisela sagte ich aber nichts. Vielleicht täuschte ich mich auch.
    Was mich aber jetzt erschreckte, war die Rückseite eines Friedhofes, die von dem Schlafzimmerfenster aus zu sehen war. Man erblickte nur die Grabsteine in Reih und Glied, keine Beschriftung, keine Bepflanzung. Eine etwa ein Meter hohe Hecke war die Abgrenzung. Das Schlafzimmerfenster hatte zwei schmale Schals als Gardine. Ein Zuziehen war nicht möglich. Wir gingen daher immer im Dunkeln zu Bett. Herr und Frau Weber hielten sich abends

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