Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
entschwand in der Bahn meinem Blickfeld. Spürte Karl die Angst, die ich um ihn hatte? Spürten wir beide, dass es ein Abschied für immer war? Hatten wir an diesem Abend schon Abschied genommen? Wissend, dass wir uns nicht mehr sehen würden? Wie wenig Zeit uns Gott gab, um unsere Liebe zu finden. Zu erkennen, dass wir zusammengehören. Seine Liebe traf mein Herz, berührte die Tiefe meiner Seele. Eine kurze Strecke nur, die wir gemeinsam gingen. Ein schmaler Weg, den uns das Schicksal vorbestimmt hatte. Für Karl führte der Weg zurück nach Hause. Wohin aber führte er mich? Was blieb mir nun? Könnte ich doch wenigstens Blumen auf sein Grab legen und weinen! Sein Vermächtnis, das Schönste für mich, war sein Brief zu meinem 18. Geburtstag. Dieses Vermächtnis würde ich überallhin mitnehmen, egal, wohin ich ginge, egal, wie alt ich würde. Der letzte Satz hatte sich in meinem Herzen eingebrannt: Vergiss mich nie! Dein Karl.
Das ist mein Versprechen, das ich Karl gab:
Nie werde ich Dich vergessen.
Frau Rudolph kam nach einer Weile zu uns ins Häuschen. Noch immer saß ich auf dem Stuhl, den Brief an mich gedrückt. Die Augen vom Weinen verschwollen. Gisela unterhielt sich mit ihr, dann setzte sich Frau Rudolph mir gegenüber, nahm meine Hände in die ihren und schwieg. Nach einer langen Weile vernahm ich ihre Stimme. Sie sagte, dass Gisela in das Institut gegangen sei, um Bescheid zu sagen, dass wir heute nicht am Unterricht teilnahmen. Sie meinte außerdem, dass es eine gute Entscheidung sei, wenn ich mit Gisela nach Bergen ginge. Es sei allerdings Eile geboten. Die Russen drangen immer weiter vor. Jetzt sei ein Ankommen noch möglich. Ferner sei für mich in ihrem Haus die Türe immer offen, jederzeit und gerne. Falls ich einmal wieder zurückkommen wolle. Was ich nicht unbedingt mitnehmen könne, solle ich getrost bei ihr lassen. Auf Wunsch könnte es die Familie Descher immer bei ihr abholen. Wie aus weiter Ferne vernahm ich ihre Stimme. So genau wusste ich gar nicht, was sie alles sagte. So viel habe ich allerdings verstanden, dass ich mit Gisela nach Bergen gehe, zu ihren Eltern. Habe ich wirklich zugesagt? Scheinbar ist es der Fall. Im Grunde war es ja auch egal, wohin ich nun ging. Von meinen Angehörigen wusste ich nichts Genaues, bald käme ich wahrscheinlich nicht mehr bis zu Deschers. Ja, und wie sollte ich da Trost bekommen? Sie hatten doch selbst diesen Schmerz erfahren. Zusammen würden wir uns in Trauer vergraben, es gäbe kein Aufstehen mehr für uns. Mit Gisela zusammen fände ich sicher einen Neuanfang. Aber erst einmal musste der ganze Spuk vorbei sein. Im Moment bestand wenig Hoffnung, es gab keine Perspektiven, keine Sicherheit.
Als Gisela vom Institut zurückkam, empfing Frau Rudolph sie mit der Botschaft, dass ich mit ihr nach Bergen ginge.
»Ist das wahr, Peterle, ist das wirklich wahr?« Ich nickte nur, winkte mit einer Hand, als wolle ich alles einfach verwischen, was um mich herum war.
»Sicher haben Sie nun einiges zu regeln, zu organisieren, ehe Sie beide abreisen können«, meinte Frau Rudolph zu Recht. »Für heute werde ich das Mittagessenkochen für Sie übernehmen, dann gehen wir alles nach einem Plan durch. Ich werde Sie dabei unterstützen, so gut ich kann.«
Zunächst musste der Tag für den Aufenthalt in Berlin festgelegt werden. Ob es mit der Bahn so klappte, war mehr als fraglich. Kein Zug fuhr mehr planmäßig. Die Ankunft war ungewiss, so viel stand fest. Aber Gisela hatte immerhin die Adresse, dann würden wir weitersehen. Unsere Abreise war für Mitte März geplant. Am Ersten eines jeden Monats gab es auf dem Einwohnermeldeamt die neuen Lebensmittelkarten. So verbanden wir diese Gelegenheit und meldeten uns gleichzeitig für den 15. März nach Bergen auf Rügen ab. Meinen Freunden, Friedel und Franzl, schrieb ich einen Brief und teilte ihnen unser Vorhaben mit. Außerdem gestand ich ihnen, dass ich nicht mehr in Richtung Dresden fahren wollte. Die Zerstörung hatte mir das Herz gebrochen. Hinzu kam, dass wir von Altstadtevakuierten hörten, dass die mehr als 10.000 Toten von Bergungskommandos auf Scheiterhaufen verbrannt wurden. Die Überlebenden waren nicht mehr in der Lage, ihre Toten zu beerdigen. Die Kräfte reichten auch nicht mehr aus. Den Geruch konnte man weit über die Stadtgrenze wahrnehmen. All dies gab ich als Grund an, weshalb ich mich brieflich von ihnen verabschiedete. Bestimmt würde ich mich wieder bei ihnen melden.
Nun stand mir noch das
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