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Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)

Titel: Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Siemon
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ging in das Gebäude, nach ca. zehn Minuten kam er wieder zurück.
    »Mitkommen!«, herrschte er mich an und schob mich rücksichtslos in einen größeren Raum. Vor mir sah ich einen großen Schreibtisch, an dem ein Offizier gerade seine Aktentasche schloss und auf den Fußboden stellte. Er drehte sich nach mir um und fragte mich erstaunt, ob ich das Mädchen sei, das einen Passierschein abholen wolle. »Ja, Sir«, sagte ich, »im Lager wurde mir gesagt, dass ich ohne einen solchen nicht weiterreisen kann. Und der Commander meinte, dass Sie, Sir, bestimmt so freundlich wären, mir diesen Schein auszustellen.«
    »Wohin sollte der Passierschein ausgestellt werden?«, fragte er leise, dabei sah er mich misstrauisch von der Seite an.
    »Ich bin in Rheinfelden in Baden zu Hause«, gab ich Auskunft, wobei ich das Baden sehr betonte.
    »Haben Sie einen Ausweis mit?«
    »Ja«, antwortete ich hastig und zog ihn umständlich aus meinem Beutel heraus.
    »Das ist ein Schulausweis?«
    »Ja, ich besuchte zuletzt in Radebeul bei Dresden diese Schule. Wir hofften doch alle sehr, dass wir amerikanische Zone werden, leider war dies nicht der Fall. Wohin hätte ich auch in dem Durcheinander fliehen sollen? Es blieb mir doch nichts anderes übrig, als abzuwarten, und nun versuche ich alles, um zu meiner Familie zurückzukehren«, erklärte ich ihm meine Lage.
    »Wo liegt denn dieses Rheinfelden?« Der Offizier nahm einen langen Stock und zeigte damit auf eine große Landkarte, die an der Wand hing. Ich war mir ja gar nicht sicher, ob Mannheim zur amerikanischen Zone gehörte, es kam einfach auf den Versuch an. In meinem Kopf herrschte ein totales Durcheinander. Was sollte ich nur antworten?
    »Ach, wissen Sie, Sir, Rheinfelden hat nur etwas über 100 Einwohner, es liegt in der Nähe von Mannheim, also in Baden, Sie werden diesen Ort kaum auf dieser großen Landkarte finden«, redete ich mich raus und hoffte, dass sich der Offizier damit zufriedengeben würde.
    Er legte den Stock beiseite, setzte sich langsam an seinen Schreibtisch und schien zu überlegen. Oder musste er das Gehörte erst einmal verarbeiten? Dann zog er aus einer Schublade ein Formular in Postkartengröße heraus, seinen Füllfederhalter, den er bereits in der Brusttasche verstaut hatte, legte er daneben, eingehend studierte er nochmals meinen Ausweis. Er begann mit dem Schreiben meines Namens auf das Formular, geb. am … , Wohnort Rheinfelden in Baden. Er betrachtete das Foto genau, ließ mich meinen Namen schreiben, verglich alles noch einmal, endlich legte er den Füller beiseite, seine Hände ineinander, den Kopf zur Seite und schwieg. Es kam mir sehr lange vor, vielleicht, weil die Spannung einfach zu groß war. Dann drehte er sich langsam zu mir um und sah mich an.
    Ich hielt seinem Blick stand, möglicherweise konnte er darin meine dringende Bitte und meine Hilflosigkeit erkennen, die mich so plötzlich überfielen. Die Vorstellung, unverrichteter Dinge nach dem langen Rückweg im Lager anzukommen und dem Commander alles erklären zu müssen, ließ mich schier verzweifeln. Kein Essen, nichts zu trinken, wer weiß, was mir dann noch alles bevorstand? Sollte ich überhaupt noch dahin zurückmarschieren? Da hörte ich, wie eine Schublade aufgeschlossen wurde, und sah, wie der Offizier einen Stempel zum Vorschein brachte. Er nahm die Rückseite meines Ausweises, betrachtete diese und studierte auf der linken Hälfte die Daten der Lebensmittelausgabe. Dann setzte er mit einem hörbaren Knall einen runden Stempel auf die rechte Seite, auf dem zu lesen war ›im Kreis Mellrichstadt‹. In die Mitte schrieb er schwungvoll seine Unterschrift, die ich aber nicht entziffern konnte. Über den Stempel schrieb er das Datum 2–7–45. Er legte den Passierschein bedächtig in den Ausweis, klappte diesen zu, übergab mir alles.
    »Ich wünsche Ihnen alles Gute.« Es fiel mir sehr schwer, etwas zu antworten, er bot mir die Hand, die ich einfach fest drückte und dabei kräftig schluckte. Schließlich verschloss er alles wieder, während mich ein Wachsoldat hinausführte. An der Türe blieb ich stehen, schaute noch einmal zurück, während er, halb über den Schreibtisch gebückt, seinen Kopf hob und mir kurz zuwinkte.
    »Danke, Sir!«
    Trotz Passierschein und mit der Hoffnung, dass nun alles gut würde, fiel mir der Rückmarsch schwer. Es kostete mich sehr viel Kraft, dazu kam ein leerer Magen, Durst, nicht einmal die Uhrzeit konnte ich ausmachen. Die Landstraße lag vor mir,

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