Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
ebenso die Kilometer, die noch zu bewältigen waren. Ich dachte an den Wachposten an der Landstraße, was würde er für Augen machen, wenn ich nun mit einem Passierschein zurückkam? Da fiel mir ein, dass er sicher längst abgelöst war. Jedenfalls konnte man mich nicht mehr so ohne Weiteres festhalten.
Durch die Bäume am Straßenrand war es doch ein wenig schattig. Meine Gedanken wanderten zu meinen Angehörigen, ich sah meine Großeltern vor mir, den Großvater mit seinem Lächeln in den Augen, und Großmutter, die bestimmt etwas Essbares für mich aufgehoben hatte, meine Mutter, die sich sicher auch Sorgen um mich machte. Ob sie wohl alle gesund waren?
All diese Gedanken halfen, den langen Weg erträglicher zu machen. Da tauchte doch plötzlich an der Straße das Wachhäuschen auf, demnach hatte ich gut die Hälfte geschafft. Vor dem Wachhäuschen stand ein Jeep mit zwei US- Soldaten, plötzlich fiel mir mit Schrecken ein, es könnte bereits Sperrstunde sein, dabei hatte ich noch ein gutes Stück des Weges vor mir. Meine Vermutung war richtig, der Beifahrer stieg aus, forderte mich auf, stehen zu bleiben, stellte sich breitbeinig vor mich hin und zeigte mit dem rechten Zeigefinger auf seine Uhr. Ich griff in meinen Beutel und zog den Ausweis mit dem Passierschein heraus, ohne ein Wort zu sagen. Da stellte sich heraus, dass der Soldat sehr gut Deutsch sprach. Das war eine große Erleichterung, und die Befragung begann. Rheinfelden in Baden, er musterte mich von unten bis oben, betrachtete die Papiere.
»Da kommst du aber nicht heute und auch nicht morgen an.«
»Nein, das will ich nicht, ich muss noch dringend in das Lager, etwa vier Kilometer von hier, dort bin ich seit Tagen, ich habe mir heute nur diesen Passierschein in Mellrichstadt besorgt, nun hoffe ich, bald mit einem Transport weiterzukommen«, versuchte ich, ihn zu beruhigen.
Doch es half nichts. Sie befahlen mir, in den Jeep zu steigen, die Fahrt ging los. Hoffentlich bringen sie mich nicht an einen anderen Ort, war meine größte Sorge, aber bald erkannte ich das Gebäude und den Hof, auf den sie nun fuhren. Der Wachsoldat auf dem Hof sah uns kommen und staunte nicht schlecht, als er mich aus dem Wagen steigen sah. Als er nach dem Commander gefragt wurde, hörte ich, dass er noch anwesend war. Links ein Soldat, rechts ein Soldat, so wurde ich in das Büro geführt. Die beiden Soldaten salutierten, danach herrschte eisige Stille.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meinen Ausweis mit dem Passierschein nicht zurückbekommen hatte, der Beifahrer übergab nun dem Commander das begehrte Dokument und, soweit ich verstand, erzählte er diesem, wo sie mich angetroffen und dann mitgenommen hatten.
Der Commander sah mich an, schüttelte den Kopf, sah einmal weg, fasste sich an das Kinn, sah mich wieder kopfschüttelnd an und blieb wortlos, die Hände in den Hosentaschen vergraben, vor mir stehen. Auf seinem Schreibtisch standen ein Teller mit Sandwiches und eine Flasche Orangensaft. Ich konnte meinen Blick nicht von diesen Köstlichkeiten lösen, man konnte mich zu sonst etwas verdonnern, wenn ich nur vorher von diesem Teller etwas essen und vor allem trinken durfte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Plötzlich bewegte sich dieser Teller, ich sah eine Hand, die ihn an den Rand des Tisches schob, und hörte eine Stimme, die befahl:
»Setz dich hin und iss.« Gesagt, getan. Ich hob den Kopf, sah den Offizier an und dankte ihm mit den Augen. Die Stimme versagte mir, nur ganz langsam konnte ich alles begreifen. Während ich mich bemühte, langsam zu essen, unterhielten sich die drei Besatzer noch eine Weile, dann verabschiedeten sie sich und fuhren wieder zurück. In diesem Augenblick, als ich mit dem Commander alleine war, entschuldigte ich mich bei ihm für mein Verhalten. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich auf keinen Fall Schwierigkeiten machen wolle. Statt mich zu bestrafen, durfte ich den ganzen Teller leeressen und den Saft austrinken.
»Die Papiere behalte ich hier«, beschied er mir abschließend, »bei mir sind sie gut verwahrt, und sobald ein Transport in deine Richtung fährt, gebe ich sie dir wieder. Nun geh dich ausruhen, dein Weg ist noch lang, es werden bestimmt nicht die letzten Strapazen sein, bis du am Ziel angekommen bist.«
Am folgenden Tag hatte ich Zeit, mich ein wenig zu erholen und den Lagerinsassen haarklein zu erzählen, was ich erlebt hatte. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, was ich riskiert hatte. Nun wünschte
Weitere Kostenlose Bücher