Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
Vom Netzwerk:
wartet. Das ist doch was!“
    Aber Livias Gesichtszüge entspannten sich kein bisschen. Selbst wenn Gott tatsächlich auf einen wartete, stellte sich immer noch die Frage, ob das von Vorteil war! „Wieso?“, presste sie kaum hörbar hervor.
    Karen sagte nur ein einziges Wort: „Krebs.“
    „Aber du arbeitest im Krankenhaus … und es gibt Therapien“, brach es aus Livia hervor. „Chemotherapie! Und … und Operationen. Was ist damit? Und warum …“ Ihre Stimme drohte zu versagen. „Warum hast du es uns nicht früher gesagt?“
    Karen seufzte tief. „Ich hatte so den Eindruck … na ja …“ – sie zuckte die Achseln – „dass ihr genug eigene Probleme habt.“
    Livia hielt das Kissen inzwischen so fest, als wäre es ihr einziger Halt. „Wir hatten vielleicht Probleme … aber kein Problem kann so groß sein, dass du deswegen eine Krebserkrankung verschweigen müsstest.“
    „Ich wollte sie auch nicht verschweigen. Ich wollte nur Zeit gewinnen. Oder besser gesagt: Ich wollte, dass ihr die Zeit habt, ohne Druck zueinanderzufinden! Und das habt ihr doch auch, nicht wahr?“
    Livia hielt Karens Blick tapfer stand und nickte. Dass sie die Zeit genutzt hatten, um alles wieder kaputt zu machen, musste Karen nicht wissen. Nicht heute, nicht in dieser Situation. „Aber was ist jetzt mit einer Operation? Wieso liegst du nicht längst unter dem Messer?“
    „Ich hab Bauchspeicheldrüsenkrebs.“ Sie blickte in die Ferne. „Und ich habe Kollegen, die sich mit so etwas auskennen.“ Sie seufzte tief. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Untersuchungen ich hinter mir habe.“ Vor ihrem geistigen Auge schien sie das alles Revue passieren zu lassen. Dann lachte sie plötzlich auf. „Und wie lange sie versucht haben, mir das Ausmaß der Katastrophe zu verschweigen …“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich kenne das Geschäft … Ich hab so lange nachgefragt, bis sie mir die ganze Wahrheit gesagt haben.“
    Livia schluckte schwer. „Und die wäre?“
    „Bauchspeicheldrüsenkrebs ist im Grunde weder operabel noch heilbar.“
    „Aber das kann nicht sein!“, brach es aus Livia hervor. In ihren Augen schimmerte es feucht. „Die Medizin entwickelt sich mit riesigen Schritten weiter. Die verpflanzen mittlerweile doch alles, was nicht niet- und nagelfest ist … Hände … Gesichter …“
    „Aber keine Bauchspeicheldrüsen …“
    „Warum nicht?“, jammerte Livia und begann zu weinen. „Warum denn nicht?“
    Lange Zeit sagte Karen gar nichts, sondern tätschelte nur tröstend Livias Knie und reichte ihr ein Taschentuch nach dem anderen. Sie selbst weinte nicht. Jetzt, wo Livia ihren Trost brauchte, besaß sie eine erstaunliche Stärke. Als Livias Tränenschwall allmählich nachließ, sagte sie: „Ich weiß, wie sehr dich das jetzt schockieren muss. Glaub mir, ich hab auch sehr lange gebraucht, um das einigermaßen zu verdauen.“ Sie rückte näher an Livia heran, nahm deren Hand und drückte sie ganz fest. „Aber es ist, wie es ist. Und ich hab beschlossen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Ich will nicht zu den Menschen gehören, die sich an Strohhalme klammern, die doch nicht halten. Ich will mich lieber an Gott festhalten.“
    „Toller Gott, wenn er dich sterben lässt!“, fauchte Livia.
    „Jeder Mensch muss sterben“, sagte Karen bestimmt. „Und es gibt keinen Grund, sich davor zu fürchten. Wer an Gott glaubt, wird auch wieder auferstehen.“
    „Aber Vanessa …“, jammerte Livia. „Und ich …“
    „Vanessa, genau“, sagte Karen. Livia spürte, wie sich ihre Hand ein wenig verkrampfte. „Sie ist der Hauptgrund für meine Einstellung.“ Karen sah Livia ernst ins Gesicht. „Ich kann es mir nicht erlauben, die letzten Wochen durch eine Chemotherapie zu versauen. Ich will die Zeit, die mir noch bleibt, mit Vanessa verbringen!“
    Livia schnaubte lautstark in ihr Taschentuch. „Weiß sie es?“
    Karen schüttelte den Kopf. „Ich kann es ihr nicht sagen, solange ich noch keine Perspektive für sie habe.“ Sie zögerte einen Moment, warf Livia ein paar vorsichtige Blicke zu und fragte dann mit leiser Stimme: „Würdet ihr sie zu euch nehmen, Arvin und du?“
    In Sekundenschnelle liefen bei Livia ganze Gedankenstränge wie Spinnweben zu einem Zentrum zusammen. Karen meinte es ernst. Vanessa brauchte jemanden, der für sie sorgte. Das ging nur, wenn sie – Livia – zu Arvin zurückkehrte. Er würde nichts dagegen haben, nicht unter diesen Umständen. „Natürlich würden wir

Weitere Kostenlose Bücher