Als gaebe es kein Gestern
erstaunlich lange an. Auch noch als sie am nächsten Morgen bei Helligkeit die kümmerlichen Reste ihres Beetes betrachtete, erinnerte sie sich an Arvins Gesichtsausdruck, fühlte sie fast körperlich den Schmerz, den sie in seinen Augen gesehen hatte.
Das Beet war unwichtig geworden. Die Blumen? Nebensächlich!
Und was das Schlimmste war: Sie hatte nicht einmal mehr die Energie, ihr Werk wiederherzustellen!
Sie bückte sich und hob eine herausgerissene Tulpe auf. Mit ihren roten Blättern gehörte sie zu den schönsten Errungenschaften ihres Beetes. Und doch war sie nur eine Blume, ein Ding. Es war schade, wenn sie zerstört wurde. Aber es konnte sie niemals so treffen, wie die Zerstörung dieses Kuscheltieres oder auch die Zerstörung der Vase Arvin getroffen hatte. Warum war das so? Was verband er mit diesen Gegenständen? Was stimmte nicht mit ihm?
Als sie kurze Zeit später damit beschäftigt war, die Reste der Blumen in einem Eimer zu verstauen, wurde ein paar Meter weiter eine Verandatür geöffnet und Gunda kam zum Vorschein. Livia wäre am liebsten im Erdboden versunken, hatte aber keine Zeit mehr zum Flüchten.
„Was ist passiert?“, rief Gunda, während sie auf Livia zueilte.
„Jugendliche“, sagte Livia müde. „Ich schätze, da haben sich ein paar Jugendliche ausgetobt.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich hab einfach kein Glück mit diesem Beet.“
Gunda starrte erst auf das Chaos zu Livias Füßen und dann in Livias Gesicht. „So was hat’s hier in der Gegend ja noch nie gegeben“, bemerkte sie argwöhnisch.
Livia schluckte. „Einmal ist immer das erste Mal“, antwortete sie und kaute nervös auf ihrer Oberlippe herum. Und dann blickte sie nach oben. „Ich muss mich beeilen. Sonst fängt es an zu regnen.“ In der Tat war das Wetter nicht das beste. Es war bedeckt, doch schien das Grau der Wolken seit einigen Minuten immer tiefer und dunkler zu werden. Außerdem wehte ein kühler, böiger Wind.
„Na gut“, seufzte Gunda. „Auf ein Neues. Wir sind ja schon eingearbeitet. Gib mir den Eimer und geh neue Blumen kaufen. Dann werden wir noch vor dem Regen fertig.“ Als Livia sich nicht rührte, schob sie ein „Na los!“ hinterher und griff nach dem Eimer.
Aber Livia schüttelte den Kopf. „Dieses Mal nicht. Ich geb auf. Ich will das Beet nicht mehr.“
Gunda starrte sie entgeistert an. „Bist du verrückt? Dein ganzes Herzblut steckt in diesem Beet. Natürlich machen wir es neu!“
„Nein. Machen wir nicht.“ Livia hielt den Eimer einfach fest, bis Gunda ihn wieder losließ.
„Was ist denn in dich gefahren?“, wunderte sich Gunda. „Ich meine … du liebst dieses Beet.“
„Nein, tu ich nicht“, widersprach Livia. Ihre Stimme klang wackelig. „Nicht mehr jedenfalls.“ Und dann fiel ihr zum Glück ein Regentropfen ins Gesicht. „Ich hab einen Tropfen abgekriegt“, schob sie erleichtert hinterher. „Ich geh jetzt besser rein.“ Mit diesen Worten ließ sie den Eimer einfach auf den Boden fallen und steuerte mit schnellen Schritten auf die Haustür zu.
„Ich hab einen Termin abgemacht“, rief Gunda hinter ihr her.
Livia blieb stehen und drehte sich um. „Termin?“, fragte sie verständnislos.
„Der Hund“, antwortete Gunda. „Wenn du willst, können wir ihn Samstag in zwei Wochen abholen.“
„Oh, das ist … schön“, sagte Livia, wusste aber nicht, ob es schön oder doof oder einfach nur egal war. „D-danke.“ Und dann ließ sie Gunda zum zweiten Mal stehen.
Was man als dumm bezeichnen konnte. Denn wenn man allein war, dachte man zu viel nach …
Livia versuchte sich abzulenken, indem sie erst einmal ein paar Gummibärchen in sich hineinstopfte und kauend das Haus durchwanderte. Aber auch das war nicht die beste Lösung. Arvins Gesichtsausdruck schien sie in jeden Raum zu verfolgen, sogar in ihr Schlafzimmer – den einzigen Raum, der ihr hier im Haus ganz allein gehörte.
Irgendwann hielt Livia es nicht mehr aus und griff zum Telefonhörer.
Gunda konnte sie nicht anrufen, die würde viel zu viele unangenehme Fragen stellen. Und Karen? Die beantwortete sowieso keine Fragen, die Arvin betrafen. Da blieb allein Enno übrig.
Sie wählte die Handynummer, die er ihr gegeben hatte.
„Ja?“, meldete er sich. Es klang kurz und wenig erfreut.
Livia schluckte. „Ich bin’s, Livia.“
„Oh.“ Enno schwieg vor lauter Schreck. Dafür war im Hintergrund eine Stimme zu hören, die Livia unschwer als die ihres Ehemannes identifizierte. Schließlich klang
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