Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
Vom Netzwerk:
zufrieden, das Anna zum Aufwärmen mitbrachte.
    »Deine Mutter versteht zu kochen«, sagte sie, und Mama war hocherfreut, als Anna ihr das erzählte.
    Nur Grete blieb düster und unzufrieden. Was auch immer Mama auf den Tisch brachte, sie verglich es mit einem ähnlichen Gericht aus Österreich, und der Vergleich fiel immer nachteilig für Mamas Speise aus. War es aber etwas, das es in Österreich nicht gab, so hielt Grete es für ungenießbar. Sie setzte allem Französischen einen erstaunlichen Widerstand entgegen, und obgleich sie jeden Tag zum Unterricht ging, schienen sich ihre Sprachkenntnisse nicht zu verbessern. Da sie durch die Versprechen, die sie angeblich ihrer Mutter gegeben hatte, wirklich kaum eine Hilfe für Mama war, freuten sich alle, sie selbst nicht ausgenommen, auf den Tag, an dem Grete endgültig nach Österreich zurückkehren würde.
    »Und je eher, desto besser«, sagte Madame Fernand; die Grete aus der Nähe hatte beobachten können, denn die beiden Familien verbrachten die Sonntage meist gemeinsam.
    Als der Frühling zum Sommer wurde, gingen sie, statt sich zu Hause zu treffen, in den Bois de Boulogne. Das war ein großer Park nicht weit von ihrer Wohnung, und die Kinder spielten Ball auf dem Rasen. Ein- oder zweimal lieh sich Monsieur Fernand das Auto eines Bekannten und nahm alle zu einem Ausflug mit aufs Land. Zu Annas Freude kam die Katze auch mit. Sie hatte nichts dagegen, an einer Leine geführt zu werden, und während Max mit Francine plauderte, nahm Anna das Tier stolz in ihre Obhut.
    Im Juli wurde es sehr heiß, viel heißer, als es in Berlin je gewesen war. Man bekam keine Luft mehr in der kleinen Wohnung, obgleich Mama die ganze Zeit die Fenster geöffnet hielt. Besonders im Schlafzimmer der Kinder war es zum Ersticken heiß, und im Hof, auf den die Fenster hinausgingen, schien es noch heißer zu sein als im Zimmer. Man konnte nachts kaum schlafen, und niemand konnte sich auf den Unterricht in der Schule konzentrieren. Sogar Madame Socrate sah müde aus. Ihr gekräuseltes schwarzes Haar wurde in der Hitze ganz matt, und alles sehnte sich nach dem Ende des Schuljahres.
    Der vierzehnte Juli war nicht nur für die Schüler, sondern für alle Franzosen ein Feiertag. Es war der Jahrestag der Französischen Revolution. Überall hingen Fahnen, und am Abend sollte ein Feuerwerk abgebrannt werden. Anna und Max gingen mit ihren Eltern und den Fernands aus, um es anzusehen. Sie fuhren mit der Metro, in der sich ausgelassene Menschen drängten, und in einem Schwarm anderer Pariser stiegen sie eine lange Treppe zu einer Kirche hinauf, die auf dem Gipfel eines Hügels lag. Von hier konnte sie ganz Paris überblicken, und als die Raketen anfingen, vor dem dunkelblauen Himmel zu zerbersten, schrie und jubelte alles. Am Schluß des Schauspiels stimmte jemand die Marseillaise an, ein anderer fiel ein, und bald sang die riesige Menschenmenge in der warmen Nachtluft.
    »Los, Kinder«, rief Monsieur Fernand, und auch Anna und Max sangen nun mit. Anna fand das Lied herrlich, besonders die Stelle, an der die Melodie so unerwartet langsam wird, und sie bedauerte, als es zu Ende war.
    Die Menge begann, sich über die Treppe hinunter zu zerstreuen, und Mama rief: »Und jetzt heim ins Bett!«
    »Um Himmels willen, Sie können die Kinder jetzt doch nicht ins Bett stecken. Es ist der vierzehnte Juli!« rief Monsieur Fernand. Mama meinte, es sei schon spät, aber die Fernands lachten sie aus.
    »Es ist der vierzehnte Juli«, sagten sie, als ob damit etwas erklärt wäre, »und der Abend hat gerade erst angefangen.«
    Mama schaute zweifelnd auf die erregten Gesichter der Kinder. »Aber was soll denn nun noch geschehen?« fing sie an.
    »Zuerst«, bestimmte Monsieur Fernand, »gehen wir essen.« Anna erklärte, sie hätten schon gegessen.
    Bevor sie losgezogen waren, hatte es hartgekochte Eier gegeben. Aber offenbar war das für Monsieur Fernand kein Essen. Er führte sie in ein großes, überfülltes Restaurant, wo sie sich draußen auf dem Bürgersteig an einen Tisch setzten und bestellte eine Mahlzeit.
    »Schnecken für die Kinder«, rief Monsieur Fernand, »sie haben sie noch nicht probiert?«
    Max starrte seine Portion voller Abscheu an und konnte sich nicht entschließen, sie anzurühren. Aber Anna, von Francine ermutigt, versuchte eine und fand, daß sie wie ein köstlicher Pilz schmeckte. Zum Schluß aßen sie und Francine noch Maxens Schnecken auf.
    Gegen Ende der Mahlzeit, als sie Cremeballen

Weitere Kostenlose Bücher